Brief 8 veröffentlicht am 7 September 2010

Neue exklusive Umfrage: Großbritannien - die Zukunft der katholischen Liturgie?

Aus Anlass der Seligsprechung von John Henry Cardinal Newman, einem anglikanischen Priester und Theologen, der zum Katholizismus konvertierte, wird der Heilige Vater vom 16. bis19. September Schottland und England einen apostolischen Besuch abstatten. Zu dieser in Grossbritannien lang erwarteten Reise hat Paix Liturgique, wie bereits während des jüngsten Besuchs des Papstes in Portugal, eine neue Umfrage bezüglich der Aufnahme des Motu Proprio Summorum Pontificum unter den Katholiken in Großbritannien in Auftrag gegeben.


I - Ein spezieller Fall

Seit dem anglikanischen Schisma im 16. Jahrhundert hat die katholische Religion in Großbritannien eine eigentümliche Stellung. Bis ins 19. Jahrhundert wurde die Kirche institutionell unterdrückt, da der Katholizismus durch die Machthaber und einen Grossteil der Bevölkerung als antinational betrachtet wurde.

Nach dem Catholic Relief Act von 1829, konnte sich der Katholizismus erneut frei organisieren, vor allem nach dem päpstlichen Breve von 1850, das die Wiederherstellung der katholischen Hierarchie im Land ermöglicht hatte. Seit dieser Zeit, welche die Epoche Kardinal Newmans war, hat der britische Katholizismus einen bemerkenswerten Einfluss auf das geistige und kulturelle Milieu der Insel ausgeübt; er hat einzigartige Persönlichkeiten wie Chesterton und Tolkien hervorgebracht, ohne jedoch eine massive Rückkehr der anglikanischen Gläubigen nach Rom zu bewirken.

Aus England kam 1971 die erste bedeutende Aktion für die Verteidigung der traditionellen Liturgie in Form einer Petition, die von Dutzenden von Persönlichkeiten, unter anderem auch von der Schriftstellerin Agatha Christie (obwohl nicht katholisch), unterzeichnet worden war. Daher wurde diese Initiative, der die sofortige Gewährung eines Indultes folgte, auch als "Agatha Christi Indult" bekannt; für die Dokumentation der Korrespondenz geben wir am Ende des Briefes die entsprechenden Internet-Links an. Dieses Indult - die klassische Art einer Antwort, in diesem Fall durch die Kongregation für den Gottesdienst, an den Präsidenten der Bischofskonferenz von England und Wales - sah die Möglichkeit für "bestimmte Gruppen von Gläubigen für spezielle Gelegenheiten“ vor, nach dem Missale von 1965 zu zelebrieren.

Obwohl dieser Text einen Meilenstein in der Geschichte der Verteidigung der traditionellen Liturgie der Kirche darstellt (handelt es sich doch hier um einen Präzedenzfall, der sehr wichtig für den modus operandi der römischen Kurie ist und der auch ständig im Hinblick auf das Motu Proprio Ecclesia Dei von 1988 zitiert wurde), hat die zögerliche Haltung der britischen bischöflichen Hierarchie (bereits 1971), das Indult umzusetzen, dieses seiner Früchte beraubt. Die Lage der englischen, walisischen und schottischen Gläubigen, die der traditionellen Liturgie verbunden waren, ähnelte mehr und mehr derjenigen, die auf dem Kontinent bekannt war: Verachtung und Ausgrenzung.

An dieser Situation hat auch das Motu Proprio von 2007 noch nichts geändert, ungeachtet von Initiativen einiger der neuen britischen Prälaten und der Aktivität von Laienbewegungen, allen voran der Latin Mass Society, die zahlreiche Schulungen von Priestern zur Feier der außerordentlichen Form durchgeführt hat.

Am Vorabend des Papstbesuches kann man gleichwohl ein Aufwallen feststellen, das durch die Apostolische Konstitution Anglicanorum Cœtibus, die die Gründung von Personalordinariaten für Anglikaner vorsieht, die in die volle Gemeinschaft mit der Kirche zurückkehren wollen. Dieser Text, eine neue Frucht der Großzügigkeit von Papst Benedikt XVI., bietet in der Tat eine Hoffnung für diejenigen anglikanischen Gläubigen, die sich nicht mehr in den jüngsten Entwicklungen innerhalb der anglikanischen Gemeinschaft beheimatet finden: Ordination von Frauen, Zulassung von aktiven Homosexuellen zur Ordination... Bis vor kurzem schienen die Anglikaner weit näher bei Rom als andere protestantische Gemeinschaften. Vor diesem Hintergrund und zu einem Zeitpunkt, da der Papst in den englischen Medien regelmäßig Zielscheibe von Lobbyisten ist, die auch vor den unverschämtesten Provokationen nicht zurückschrecken (man spricht über nichts weniger, als den Papst ins Gefängnis zu werfen!), möchte Paix Liturgique herausfinden, was die Katholiken in England über das Motu Proprio Summorum Pontificum wissen und welche Wertschätzung sie ihm entgegenbringen.


II – Die Ergebnisse

Nachfolgend finden sich die Ergebnisse einer Umfrage, die Harris Interactive vom 21. bis 28. Juni 2010 bei 800 britischen Katholiken, die von 6’153 Personen im Alter über 18 Jahren ausgewählt wurden, online durchgeführt hat.

Frage 1: Gehen Sie zur Messe?
Jede Woche: 24,3%
Monatlich: 7,8%
Für große Feste: 10,1%
Gelegentlich (Hochzeiten ...): 45,6%
Nie: 12,3%

Frage 2: Papst Benedikt XVI. bestimmte im Juli 2007, dass die Messe sowohl in ihrer modernen, der sogenannten „ordentlichen Form" oder "nach Papst Paul VI." - in Englisch, der Priester den Gläubigen zugewandt, die Kommunion wird stehend empfangen - und in ihrer traditionellen, der sogenannten "außerordentlichen Form" oder "nach Papst Johannes XXIII." - in Latein und Gregorianik, der Priester dem Altar zugewandt, die Kommunion wird kniend empfangen, zelebriert werden kann. Wussten Sie das?
Ja: 39,4%
Nein: 60,6%

Frage 3: Würden Sie es als normal oder nicht normal empfinden, wenn die beiden liturgischen Formen regelmäßig in Ihrer Gemeinde gefeiert werden?
Normal: 44,9%
Nicht normal: 21%
Keine Meinung: 34,1%

Frage 4: Wenn die Messe in Latein und Gregorianik in ihrer außerordentlichen Form gefeiert würde statt in der ordentlichen Form in Englisch, würden Sie daran teilnehmen?
Antworten aller Katholiken:
- 15,6% würden wöchentlich daran teilnehmen
- 10,8% einmal im Monat
- 11,1% bei den großen Festen
- 46,1% gelegentlich
- 16,4% nie
Antworten der Teilnehmer, die regelmäßig zur Messe gehen (wöchentlich und monatlich):
- 43% würden wöchentlich daran teilnehmen
- 23,4% einmal im Monat
- 7,8% bei großen Festen
- 17,6% gelegentlich
- 8,2% nie


III – Die Kommentare von Paix Liturgique

1. Die erste Lektion dieser Umfrage ist eine gute Nachricht für die ganze Kirche: 32% der britischen Katholiken erklären, mindestens einmal pro Monat die hl. Messe zu besuchen. Das ist eine deutlich höhere Quote als in den alten katholischen Ländern wie Frankreich oder Portugal (jeweils 19% gemäss der Umfrage IFOP im Dezember 2009 für La Croix und Harris Interactive im Mai 2010 für Paix Liturgique).

2 . Die zweite Lektion ist, dass diese Umfrage, durchgeführt von einem unabhängigen und professionellen Institut, alle früheren Erhebungen bestätigt, die bezüglich der Frage nach der traditionellen Liturgie der Kirche durchgeführt wurden. (siehe hier)

Wer Augen hat, der sehe! Wer Ohren hat, der höre!

In Großbritannien, wie anderswo, würde ein großer Anteil der Katholiken an der Feier der außerordentlichen Form des römischen Ritus teilnehmen, wenn sie in ihrer Gemeinde zelebriert würde. Abgesehen davon, liegt man gegenüber dem Durchschnitt früherer Umfragen, nach denen sich etwa ein Drittel der Praktizierenden bereit findet, regelmäßigen wöchentlichen traditionellen Messen in ihren Pfarreien beizuwohnen, deutlich höher. In England sind es 43% der Praktizierenden, die wöchentlich an der traditionellen Messe teilnähmen, wenn sie jeden Sonntag in ihrer Pfarrei zelebriert würde (England übertrifft Italien, wo es einen Rekordwert von 40 % von regelmäßigen Kirchgängern gibt, die antworteten, dass sie jede Woche eine traditionelle Messe besuchten, wenn sie ihnen angeboten würde). Das Ergebnis erreicht sogar 66,4% (d.h. 2 von 3 Praktizierenden) unter Berücksichtigung aller Praktizierenden, die mindestens monatlich zur Messe gehen, d.h. sogar mehr als in Italien (63%, Doxa Umfrage 2009).

Wenn man berücksichtigt (Frage 2), dass 60% der Katholiken von der Existenz des Motu Proprio gar nichts wissen, kann man sich leicht vorstellen, dass die 66,4% der o.g. Praktizierenden nur einen Minimalwert darstellen, der höchstwahrscheinlich noch wesentlich höher ausfiele, wenn die Kenntnis des Motu Proprio weiter verbreitet wäre.
 
3. Die dritte Lehre aus dieser Studie ist die Bestätigung, dass auch in England, die überwältigende Mehrheit der Gläubigen eine friedliche Koexistenz der beiden Formen des römischen Ritus im Rahmen der Pfarrei als absolut normal ansähe. Dies ist nur zur Hälfte überraschend: die englischen Katholiken, die lange als "Papisten" verfolgt wurden, sind in der Tat in besonderer Weise mit dem Nachfolger Petri verbunden. In England, wie auch anderswo, scheint der Wunsch der Gläubigen, das Motu Proprio angewendet zu sehen, proportional zur Opposition zu sein, die dieser Text des Papstes bei den meisten Bischöfen hervorgerufen hat. Es ist tatsächlich bemerkenswert, dass durch diese Studie festgestellt werden kann, dass die bischöfliche Hierarchie der Wirklichkeit, die sie umgibt, keine Beachtung schenkt. Nur 21% der Gläubigen finden eine friedliche Koexistenz der beiden Formen des römischen Ritus nicht normal. Diese Zahl könnte auch abnehmen, wenn mehr Gläubige (als die aktuellen 39,4%) die Bestimmungen des Motu Proprio von Papst Benedikt XVI. kennen würden. Man kann zu Recht der Meinung sein, dass unter diesen 21% manche glauben, was ihnen schon so lange wiederholt wurde, daß diese Liturgie "aufgehoben" ja gar "verboten" sei...
Das Argument, das aus dem Desinteresse der Gläubigen auf die Vernachlässigbarkeit der getreuen Umsetzung des Motu Proprio schliesst, ist nicht nur in England unfair, denn wenn man die Gläubigen über die Tatsachen informiert und dann nach ihrer Meinung befragt, sind die Ergebnisse recht verschieden von dem Eindruck, den diejenigen Erwecken, die hier auch im Namen ihrer Gläubigen sprechen. Das gilt auch für die Vermittlung von Pfarrgemeinderäten, die im Prinzip zurückhaltend (durch Ideologie, durch Angst oder einfachen nachkonziliaren Konservatismus) gegenüber der Reform der Reform von Papst Benedikt XVI. sind.
  
4. Mit einem Augenzwinkern wird man noch zum Agatha Christie Indult bemerken müssen: Dieses hat seit 1971, die Feier nach dem Missale von 1965 (nicht demjenigen von 1962 wie Summorum Pontificum und zuvor Ecclesia Dei). Man könnte nun vermuten, dass diese abgeschwächte, modernisierte Form des Missale des sel. Johannes XXIII. von 1962 eher von den britischen Bischöfen akzeptiert worden wäre und folglich, dass es dadurch einen gewissen Einfluss einer eher klassischen Liturgie im nachkonziliaren Kontext gegeben haben könnte. Doch dem war nicht so. Die britischen Bischöfe, sehen kaum einen wesentlichen Unterschied zwischen der Liturgie von 1965 und von 1962. Es erweist sich daher als nutzlos, bei denjenigen zu insistieren, die naiverweise glauben, dass es in den Diözesen leichter akzeptiert würde, gemäss dem Missale von 1965 als dem von 1962 zu zelebrieren; ganz zu schweigen von der etwas abgründigen Naivität einiger Aktivisten, die sich auf die Feier der Liturgie von Paul VI. in Latein versteifen...
 
5. Vor allem aber unterstreicht diese neue Erhebung die erstaunliche Kommunikationsunfähigkeit des Episkopats, hier besonders des britischen: drei Jahre nach der Veröffentlichung des Motu Proprio vom 7. Juli 2007 sind nur 40% der Gläubigen darüber informiert. Nein, eigentlich muss man die Dinge beim Namen nennen, vor allem in einem so wichtigen Gebiet, wie dem liturgischen und sakramentalen Leben: in England handelt es sich, wie auch anderswo, offensichtlich um einen weiteren Fall von Blindheit für die pastoralen Bedürfnisse der Gläubigen. Eine bischöfliche Blindheit, die auch hier wieder wissenschaftlich beziffert und gemessen wurde.
Man würde fast meinen, dass die Bischöfe ein neues Pastoralkonzil brauchen, das ausschließlich dem Hören der "Stillen in der Kirche" gewidmet wäre und der Antwort auf ihre Erwartungen diente.
 
6. Ein letzter Hinweis: Aufgrund der niedrigen Zahl von Katholiken in Grossbritannien (13%), musste die Umfrage mehr Menschen als üblich einbeziehen (6153 Personen), um sich auf eine repräsentative Zahl von Befragten stützen zu können, die sich als "katholisch" erklären. Diese Umfrage ist somit die teuerste, die wir je in Auftrag gegeben haben. Sie hat rd. 10.000 € gekostet. Wenn Sie sich an ihrer Finanzierung beteiligen und uns ermöglichen möchten, unsere Informationsarbeit fortzusetzen, können Sie Ihre Spende an Paix Liturgique, 1 allée du Bois Gougenot, 78290 Croissy-sur-Seine in Form eines Schecks zugunsten von Paix Liturgique senden oder per Überweisung: IBAN: FR76 3000 3021 9700 0500 0158 593 - BIC: SOGEFRPP.


Hier noch die Links zum Agatha-Christie-Indult von 1971:

Petition von 1971: http://latin-mass-society.org/2007/ukappeal.pdf
Antwort von Rom: http://www.latin-mass-society.org/engind.htm