Brief 95 veröffentlicht am 1 Februar 2022
GEBETSWOCHE FÜR DIE EINHEIT DER CHRISTEN ... ABER NICHT MIT DEN KATHOLIKEN, DIE AN DER TRADITION FESTHALTEN?
Wir übernehmen für diesen Brief wörtlich den Titel, den wir unserem am 15. Januar 2020 veröffentlichten Brief 729 gegeben hatten, und der von vollkommener Aktualität ist, wie uns ein Beitrag in La Croix in Erinnerung ruft, auf den wir gleich eingehen werden.
Die Gebetswoche für die Einheit der Christen wurde auf Initiative von Abbé Paul Couturier (1881-1953), einem Priester aus Lyon, im Januar 1933 für die Einheit aller getauften Christen, insbesondere der katholischen, orthodoxen, anglikanischen und reformierten Christen, ins Leben gerufen. Nach dem Konzil wurden im Rahmen der Woche gemeinsame Gebete und manchmal sogar gemeinsame Zeremonien abgehalten. Sie wird gemeinsam vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf und dem Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen vorbereitet. Sie findet vom 18. Januar, dem früheren Fest des Heiligen Stuhls Petri, bis zum 25. Januar, dem Fest der Bekehrung des heiligen Paulus, statt.
Im Jahr 2020 stellten wir die einfache Frage: Sind diejenigen, die - aus guten Gründen, die sie wiederholt dargelegt haben - der Feier der traditionellen Liturgie treu bleiben, noch katholisch? Wenn sie aufgrund des Paradigmenwechsels, den das Zweite Vatikanische Konzil vollzogen hat, nicht mehr katholisch sind oder zumindest nicht mehr ganz katholisch sind, d. h. wenn sie sich in "unvollkommener Gemeinschaft" befinden, wie es in der neuen Terminologie heißt, dann sind sie getrennte Christen, genauso wie die Orthodoxen, Anglikaner usw. Sind sie nicht mehr katholisch, müssen die gleichen Prinzipien eines verständnisvollen und barmherzigen Dialogs, der mit der großzügigen Bereitstellung von Kultstätten einhergeht, auf die Pastoral für sie angewandt werden. Und wenn sie es noch sind, wie viel mehr müssen sie mit Liebe und Respekt behandelt werden, wie Katholiken orientalischer Riten oder einer anderen Sprache als der in einem Land gesprochenen, welche ein Recht auf völlige Freiheit und alle Mittel haben, um den Gottesdienst so zu feiern, wie sie es gewohnt sind.
Kohärenz der Befürworter der Ökumene!
Deshalb haben wir mit Freude gesehen, dass vier katholische Persönlichkeiten aus Frankreich, Dom Jean Pateau, Abt von Notre-Dame de Fontgombault, Abbé Pierre Amar, Diözesanpriester, Christophe Geffroy, Direktor von La Nef, und Gérard Leclerc, Schriftsteller, diese Art der Argumentation genutzt und in La Croix vom 19. Januar einen Beitrag mit dem Titel: "Liturgischer Krieg: Anstatt sich gegenseitig ideologische Vorannahmen vorzuwerfen, wie wäre es, wenn wir einander zuhören würden?" veröffentlicht haben. Wir haben den vollständigen Text dieses Beitrags im Anschluss abgedruckt.
Man mag den Ton dieses Textes als etwas sentimental oder sehr friedliebend empfinden, wenn man bedenkt, welche Gewalt heute in Rom gegen die Anhänger der traditionellen Liturgie entfesselt wird. Nichtsdestotrotz ist dieser Aufruf zum Dialog, zum Verständnis und zur Brüderlichkeit in erster Linie ein Aufruf zur Kohärenz, der sich an die Befürworter der Ökumene richtet: "Die Gebetswoche für die Einheit der Christen wirft also zunächst eine interne Frage der katholischen Kirche auf. Der synodale Prozess, der nun beginnt, fordert uns auf, das allzu einseitige, das streng autoritäre und kleinlich juristische Gehabe zu überwinden, welches nur zu unerträglichen Situationen und dauerhaften Ressentiments führt."
Wenn man also ein glühender Verfechter der Ökumene ad extra ist, muss man es erst recht ad intra sein und die nicht getrennten, sondern verschiedenen Brüder mit "brüderlichem Respekt und Liebe" umgeben, wie es das Konzilsdekret Unitatis redintegratio fordert.
Sicherlich richtet sich der Beitrag von Dom Pateau, Pierre Amar, Christophe Geffroy und Gérard Leclerc sowohl an Ökumeniker als auch an Traditionalisten und spricht von der Gegenseitigkeit, die diese Haltung einnehmen muss. Sie sagt das Richtige aus der Sicht der Nächstenliebe, die in keiner Situation vergessen werden darf. Allerdings muss die Situation des Lammes von dem Wolf, der es verschlingen wird, unterschieden werden: Zuerst muss dem Wolf die Nächstenliebe gepredigt werden!
Und Kohärenz der Traditionellen...
Und vor allem müssen die Verteidiger der traditionellen Liturgie selbst konsequent sein. Es kommt oft vor, dass sie die Art und Weise kritisieren, wie der ökumenische Prozess gestaltet wird. So forderte Christophe Geffroy in einem Leitartikel in La Nef vom Dezember 2016, dass die Ökumene "ein Dialog in Wahrheit" sein müsse.
Er reflektierte über die Reise von Papst Franziskus nach Schweden anlässlich der Eröffnung des Jahres, in dem die Protestanten den 500. Jahrestag der Reformation feierten, als Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen in Wittenberg anschlug.
Christophe Geffroy sprach über den sogenannten "Dialog des Lebens", bei dem es heißt: "Da uns die Lehre trennt, sollten wir sie beiseite legen und stattdessen sehen, was uns vereint". Er fuhr fort: "Dieser Ansatz kann zulässig sein, wenn diejenigen, die sich darauf einlassen, sich der Realität der Lehrunterschiede bewusst sind, so dass sie sich auf die konkreten Dinge des Lebens konzentrieren können, die uns zusammenführen. So sei auch die "gemeinsame Erklärung" von Papst Franziskus und dem lutherischen Bischof Munib Younan vom 31. Oktober 2016 in Lund zu lesen. Es ist in der Tat bezeichnend, dass sie keine einzige inhaltliche Frage anspricht (außer einem Vers über die Interkommunion, der nur behauptet, "Fortschritte" machen zu wollen), sondern auf der Ebene von Allgemeinsätzen verbleibt."
Der Direktor von La Nef bekräftigte: "Der ökumenische Dialog ist notwendig, aber er muss in Wahrheit geführt werden. Um dies zu erreichen, müsse man sich vor einer Realitätsverweigerung hüten, die nur zu Desillusionierung führen kann und schließlich dazu, das zu sabotieren, was man vorgibt aufzubauen - indem man auf Sand und nicht auf Felsen baut...".
Der von Christophe Geffroy befürwortete "ökumenische" Dialog zwischen Katholiken, die die neue Liturgie befürworten, und Katholiken, die an der traditionellen Liturgie festhalten, kann nur unterschrieben und angewendet werden. Sie müssen sich dessen bewusst sein und einander in aller Aufrichtigkeit, Wahrheit und selbstverständlich in der Liebe sagen, was ihre liturgischen Praktiken voneinander trennt. Tausendmal haben die Traditionellen dargelegt - aber ein friedlicher Dialog würde es ermöglichen, dies noch einmal zu tun -, dass sie nicht aus sentimentalen Gründen an der tridentinischen Messe hängen, sondern aus schwerwiegenden lehrmäßigen Gründen. Sie werden gerne hören, wie ihre "Partner" im liturgischen Dialog ihnen erklären, dass die neue Liturgie partizipativer ist. Darauf werden sie antworten, dass die traditionelle Liturgie die Beteiligung der Gläubigen kennt, dass aber die Überbeteiligung, der die neue Liturgie nachgibt, den Sinn des hierarchischen Priestertums aushöhlt. Sie werden ihrerseits erklären, dass die neue Messe, die die traditionelle Messe ersetzen wollte, erhebliche Schwächungen in der Theologie des eucharistischen Opfers, der Realpräsenz und des hierarchischen Priestertums vorgenommen hat, etc.
Und sie werden zunächst barmherzig, ja liebevoll darum bitten, dass man sie ökumenisch nach der traditionellen Liturgie der Kirche von Rom beten lassen möge.
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Beitrag in La Croix vom 19. Januar 2022 - Liturgischer Krieg: "Anstatt sich gegenseitig ideologische Vorannahmen vorzuwerfen, wie wäre es, wenn wir einander zuhören würden?"
Anlässlich der Gebetswoche für die Einheit der Christen rufen vier katholische Persönlichkeiten zu "gegenseitiger Wertschätzung" zwischen den Katholiken, die an der alten Form der Liturgie festhalten, und den anderen auf. Sie fordern dazu auf, "die Brüderlichkeit, zu der die Christen berufen sind, in die Hand zu nehmen".
"Die Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen zu fördern, ist eines der Hauptziele des Konzils" (1). So lauteten die ersten Worte des Ökumenismusdekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils. Seitdem haben wir die Methode gelernt: Dialog führen, einander zuhören, sich gegenseitig wertschätzen. Manchmal seine Unterschiede akzeptieren, sie aber nicht verleugnen. Oft gemeinsam beten. Wir haben gelernt, dass die Ökumene affektiv ist, bevor sie dogmatisch oder rechtlich ist. Wir haben auch verstanden, dass die Einheit der Christen für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums selbst lebenswichtig ist. "An der Liebe, die ihr untereinander haben werdet, wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid" (Joh 13,35).
Vielleicht hatte Benedikt XVI. dies im Sinn, als er die interne Spaltung der Katholiken in Bezug auf die aus dem Konzil hervorgegangene Liturgie beenden wollte. Anstelle von juristischen oder dogmatischen Argumenten schlug er einen Dialog vor. Man sollte "sich gegenseitig bereichern". Das bedeutete, den liturgischen Bruderkrieg zu beenden, der die christlichen Gemeinschaften so sehr gespalten hatte. Von nun an forderte er uns auf, einander zuzuhören und einen Dialog zu führen. Haben wir das getan? Sicherlich nicht genug. Wir haben manchmal wie Fremde nebeneinander gelebt und die brüderliche Bereicherung durch gegenseitige Ignoranz ersetzt. Heute zahlen wir den Preis dafür.
Eine Form des inneren Krieges
Ist es dennoch notwendig, diese Suche nach dem liturgischen Frieden aufzugeben? Sind wir auf den liturgischen Uniformismus als einziges Mittel zur Einheit reduziert? Die Frage ist ernster, als es zunächst den Anschein hat. Denn sie eröffnet auch eine Form des inneren Krieges. Es ist unerlässlich, mit seiner Vergangenheit im Reinen zu sein, um voranzukommen. Wenn wir nicht in der Lage sind, in Frieden mit der früheren Form der Liturgie zu leben, dann installieren wir den Krieg im Herzen dessen, was das Sakrament der Einheit der Menschen mit Gott und untereinander sein sollte.
Die Gebetswoche für die Einheit der Christen wirft also zunächst eine interne Frage der katholischen Kirche auf. Der synodale Prozess, der nun beginnt, fordert uns auf, das allzu Einseitige, das streng autoritäre und kleinlich juristische Gehabe zu überwinden, was nur zu unerträglichen Situationen und dauerhaften Ressentiments führt.
Ideologische Vorannahmen
Wie wäre es mit einem Dialog? Anstatt uns gegenseitig ideologischer Vorannahmen zu bezichtigen, anstatt dem anderen unausgesprochene Absichten zu unterstellen oder ihn in seiner Geschichte einzusperren, wie wäre es, wenn wir einander zuhören würden? Wir würden verletzte Affekte und gedemütigte Herzen auf beiden Seiten entdecken. Ja, die 1960er und 1970er Jahre waren manchmal von einer Politisierung und Radikalisierung kirchlicher (insbesondere liturgischer) Positionen durchzogen, die zu Verkrampfungen führten. Ja, die einen wie die anderen erhalten kulturelle und soziologische Haltungen als Erbe, die im Licht des Evangeliums gereinigt werden müssen. Aber wie sollen wir das tun? Indem wir uns gegenseitig mit Anathemata bewerfen: Modernisten! Integristen! Maurrassianer! Progressive! Wird die Wahrheit dadurch gestärkt? Indem man die Veröffentlichung von Messzeiten per Verordnung verbietet? Hat man je gesehen, dass eine solche Methode zur Nächstenliebe und Einheit beiträgt? Die Vervielfachung der Verbote schafft im Gegenteil Faszination und den Wunsch nach Überschreitung bei der jungen Generation von Klerikern wie Laien. Man sollte sich daran erinnern, dass die römischen Verurteilungen von Lubac und Congar dazu beigetragen haben, dass sie in den Seminaren gelesen wurden, aber das Vertrauen in die römische Autorität nicht gestärkt haben. Vielmehr läuft man Gefahr, durch die Vermehrung quälerischer Detailmaßnahmen gegen die alte Liturgie das Wesentliche der vom Konzil gewollten Liturgiereform zu verfehlen, indem man sie in einen neuen juristischen und autoritären Rubrizismus einschließt, anstatt sie für die Teilnahme des Gottesvolkes zu öffnen.
Lasst uns füreinander beten
Wie wäre es also, wenn wir es wagen würden, miteinander zu beten? Gewiss, jeder müsste Schritte tun. Aber sie würden dann aus Liebe und nicht aus Zwang erfolgen. Ökumene ist kein Werk der Diplomatie und des Geschicks. Sie ist in erster Linie eine geistige Haltung. Öffnen wir also die Türen. Den Anhängern der alten Liturgie, wenn sie aus Liebe und nicht aus rechtlichem Zwang dazu in der Lage sind, die Erfahrung der Konzelebration und des schönen biblischen Reichtums der Lektionare des Novus ordo zu wagen. Den die nach dem Konzil erneuerten Liturgie Praktizierenden, sich mit Freude von diesen Gemeinschaften stören zu lassen, die den Vetus ordo feiern und die schöne Früchte der Mission tragen. Sind wir gezwungen, miteinander zu konkurrieren? Wäre Brüderlichkeit unmöglich? Wer weiß gar, ob unsere Gemeinden nicht davon profitieren würden, ab und zu in Richtung Osten zu feiern oder den alten Text der Opferung zu verwenden?
Ein wohlwollendes Herz
Lasst uns einander besuchen! Verbringen wir mit Wohlwollen einen Sonntag bei demjenigen, der denselben Herrn mit anderen Riten als den unseren feiert. Vielleicht werden wir uns an der einen oder anderen Art und Weise stören. Aber wenn unser Herz wohlwollend ist, werden wir dort Samen des Wortes entdecken, die wir selbst vergessen haben.
Der liturgische Friede in der Kirche kann nicht erreicht werden, solange die eine Seite die Messe der anderen Seite weiterhin verdächtigt.
Da der Papst uns dazu auffordert, liegt es an uns allen, Bischöfen, Priestern und Laien, diese Brüderlichkeit von unten her in die Hand zu nehmen, anstatt auf Dekrete zu warten, die sie regeln. Das Risiko der Einheit ist uns vom Papst anvertraut. Was wäre, wenn wir es wagen würden, es in die Hand zu nehmen? Wenn wir es wagen, die Hand auszustrecken?
[1] Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Unitatis redintegratio, 1.