Brief 92 veröffentlicht am 1 Juli 2021

DIE FEINDE VON SUMMORUM PONTIFICUM WOLLEN KRIEG

"Sie werden in den nächsten Tagen oder Wochen ein neues Motu Proprio bekommen", sagte Erzbischof Minnerath von Dijon am 26. Juni zu den Gläubigen der traditionellen Messe, die gekommen waren, um vor dem Bischofspalast zu demonstrieren und ihren Unmut zu äußern. Aber schon vor der Veröffentlichung dieses Textes, wenn er denn überhaupt veröffentlicht wird, mehren sich die Zeugnisse über die Absichten der Gegner des vorherigen Motu proprio, desjenigen von Benedikt XVI:

· Zum Beispiel erklärte Kardinal Parolin, Staatssekretär, vor einer Gruppe von Kardinälen: "Wir müssen dieser Messe für immer ein Ende setzen!"

· Und Erzbischof Roche, der neue Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst, erklärte lachend vor Seminarbeamten in Rom und Mitgliedern der Kurie, die alle englischsprachig sind: "Summorum Pontificum ist praktisch tot! Wir werden den Bischöfen in diesem Punkt die Macht zurückgeben – allerdings auf keinen Fall den konservativen Bischöfen.“

Außerdem ist anzumerken, daß Bischof Minnerath, der die Feindseligkeiten gegen die traditionelle Gemeinde von Dijon eröffnet hat, Mitglied der Glaubenskongregation ist und sich daher jeden Monat in Rom befindet; daß er sich also in den Kreisen der Kurie bewegt, die die Offensive gegen Summorum Pontificum vorbereitet haben.

Das Motu proprio Summorum Pontificum von Benedikt XVI. aus dem Jahr 2007 war ein Kompromiß, der auf geniale Weise ein Nebeneinander der Messe Pauls VI. und der tridentinischen Messe herstellte, mit anderen Worten: zwischen Feuer und Wasser. Fest steht jedenfalls, daß der erreichte Friede vom christlichen Volk weitgehend akzeptiert wurde, unabhängig davon, ob es die alte Messe besucht oder nicht. Das haben alle unsere Umfragen gezeigt.

Seit der Papst am Pfingstmontag vor der italienischen Bischofskonferenz darüber sprach, wissen wir, daß der neue Text die Möglichkeit der Diözesanpriester, die traditionelle Messe zu feiern, einschränken wird. Außerdem sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die Priester der Ecclesia Dei-Institute dazu zu bringen, auch die neue Messe zu feiern, und sowohl die neue Messe als auch das konziliare Lehramt in die Ausbildung in den Seminaren dieser Gemeinschaften aufzunehmen.


Die Befürworter der Liturgiereform haben gemerkt, welche Bedeutung die Welt der Tradition besitzt

Die Verzweiflung, die die Befürworter der Liturgiereform angesichts der Widerstände ergriffen hat, auf die sie von Anfang an gestoßen sind, ist mit der Ankunft von Papst Franziskus wieder aufgelebt. Sie wächst weiter, während die Zeit vergeht und sich das Pontifikat logischerweise auf seinen Abschluss zubewegt: Es ist notwendig, dieser Opposition gegen das Konzil, dem Papst Benedikt XVI. einen liturgischen Freiraum eingeräumt hatte, so schnell wie möglich ein Ende zu setzen.

Die Offensive wurde von einer Pressure Group in der Kurie und unter den italienischen Bischöfen angeführt, die den römischen Entscheidungsträgern begreiflich zu machen versuchte, daß die beiden vorhandenen Messen, die traditionelle Messe und die neue Messe, zwei unvereinbare Lehrzustände repräsentierten: den des Zweiten Vatikanums und denjenigen vor dem Zweiten Vatikanum. Die entscheidende Einsicht von Andrea Grillo, Professor für Liturgie an der römischen Universität St. Anselm, lautet, daß Summorum Pontificum den abnormen Zustand eines "liturgischen Ausnahmezustands" herbeigeführt hat, der die traditionelle und die neue Liturgie gleichstellt – ein ungeheuerlicher, unerträglicher Zustand.[1]

Außerdem haben diese Hardliner unter den Konziliaristen begriffen, daß die Welt der Tradition mit ihren Priestern, ihren Gläubigen, ihren Werken, ihren Schulen, die sie früher als marginal und verachtenswert abtaten, in Wirklichkeit ein beträchtliches Gewicht darstellt, zumal die konziliare Welt immer erschöpfter und schwächer wird.

Daher der Wunsch, die Galaxie Summorum Pontificum in das allgemeine Recht einzugliedern. Alles, was die traditionelle Liturgie und ihre spezialisierten Akteure, die Priester der Ecclesia Dei-Gemeinschaften, betrifft, fällt zweifellos künftig in den Zuständigkeitsbereich der Kongregation für den Gottesdienst, die von ihrer Funktion her für die neue Liturgie verantwortlich ist. Die Außerordentliche Form wird also dem Gewohnheitsrecht der Ordentlichen Form untergeordnet sein. Dies könnte sehr belastend sein, wenn zum Beispiel die Erlaubnis, in der Außerordentlichen Form zu feiern, von der regelmäßigen Teilnahme an der neuen Liturgie oder von der Verwendung des Kalenders der Ordentlichen Form oder des neuen Lektionars abhängig gemacht würde. All dies läge im Ermessen der Diözesanbischöfe, die mit der Umsetzung dieser "Toleranz" betraut wären, wobei die Kongregation für den Gottesdienst immer zu deren Gunsten gegen die Priester, die Gläubigen und die Gemeinschaften von Ecclesia Dei entscheiden würde. Die konservativen Bischöfe ihrerseits stehen, wie Erzbischof Roche andeutet, unter Beobachtung.


Tauben und Falken

Allerdings scheint das gegenwärtige Pontifikat, das eines bereits 84 Jahre alten Papstes, in eine schwierige Phase einzutreten. Die Opposition gegen seine liberale Linie war unter Konservativen und traditionellen Gläubigen immer sehr stark. Aber zusätzlich stößt er jetzt auch auf Murren bei einer Reihe derer, die ihn bisher unterstützt haben.

Doch es ist mehr als Murren, es ist vielmehr eine ausgesprochene Feindseligkeit. Der Historiker Alberto Melloni, Direktor der Stiftung Johannes XXIII., auch bekannt als Schule von Bologna, ist im progressiven italienischen Katholizismus ein Intellektueller von großem Gewicht. Am 14. Juni veröffentlichte er in der größten linken Tageszeitung La Repubblica, zu der er regelmäßig Artikel beisteuert, eine feierliche Warnung an den Papst mit dem Titel "Il giugno nero della Chiesa", „Der schwarze Juni der Kirche“ (eine Anspielung auf das, was linke Historiker "Die schwarze Woche des Konzils" nennen, jene Woche, in der die schwerste Krise im Verlauf des Zweiten Vatikanums stattfand). Melloni listet auf, wie Franziskus Persönlichkeiten mißhandelte, die ihm zwar nahe standen, die er sich dennoch zu Feinden machte: die Art und Weise, wie er den Rücktritt des deutschen Kardinals Marx durch einen öffentlich gemachten Brief ablehnte; die Bestätigung der Entlassung von Enzo Bianchi, einem großen Freund Mellonis, wegen "schwerwiegender Probleme bei der Ausübung der Autorität" des ultra-ökumenischen Klosters Bose; der Besuch eines Kommissars, der nach dem Rücktritt des 80-jährigen Kardinals Stella, einer der Säulen des bergoglianischen Pontifikats, gegen die Kongregation für den Klerus bestellt wurde; die wirtschaftliche Kontrolle, die gegen die Dienste des Vikariats von Rom von Kardinal De Donatis eingeleitet wurde; die Suche, die eingeleitet wurde, um die als zu schwach erachteten Anklagen gegen Kardinal Becciu zu stützen, der des wirtschaftlichen Fehlverhaltens in London beschuldigt wurde, als er Substitut des Staatssekretariats war. Und Melloni kommt zu dem Schluß: Entweder ist Franziskus von Beratern umgeben, die Tyrannen sind, oder er ist der autoritäre Mensch geblieben, der er war, als er die Gesellschaft Jesu in Argentinien leitete. Der Papst möge sich vorsehen: "Ein Sturm zieht auf!

Ein Teil der "Linken" versucht also, sich von einer chaotischen Regierungsweise zu befreien. So ist es nicht verwunderlich, daß einige Prälaten, die sonst von der alten Liturgie nicht sehr angetan sind, Franziskus den Rat geben, vorsichtig zu sein: Es sei jetzt wirklich nicht die Zeit, einen neuen liturgischen Krieg zu beginnen. Sie schließen sich Kardinal Ladaria an, der "auf der rechten Seite" steht und dieses Dossier gebremst hat.

Damit distanzieren sich diese Tauben von den Falken im Staatssekretariat und der Kongregation für den Gottesdienst. Die Falken scheinen zu gewinnen: "Wir müssen dieser Messe für immer ein Ende setzen! " (Kardinal Parolin); "Summorum Pontificum ist praktisch tot! " (Erzbischof Roche).


Die Abwehrfront macht sich bereit

Wie der Lärm erkennen läßt, der durch die Enthüllungen zur Änderung von Summorum Pontificum ausgelöst wurde, bereitet sich eine Front der Verteidigung vor. Geht es zurück in die Situation der 70er Jahre, als das neue Meßbuch Pauls VI. eingeführt wurde? Nur mit dem Unterschied, daß die römischen Institutionen und die nationalen Episkopate heute weitaus schwächer sind.

In Dijon können die Priester der Diözese und die Gläubigen, die überhaupt noch die Kirche besuchen, die ihnen unverständliche Politik des Erzbischofs nicht nachvollziehen. So wird wahrscheinlich auch die Reaktion des ganzen christlichen Volkes aussehen: Unverständnis. Warum die alten Wunden wieder aufreißen? Warum in der Ökumene nach Außen schwelgen, ihr aber im Innern eine Absage erteilen? Warum so wenig Barmherzigkeit zeigen?

Und das alles in einem Umfeld des dramatischen Niedergangs des Katholizismus. Andrea Riccardi, Hauptvertreter der Gemeinschaft Sant‘Egidio, der nun wirklich das Gegenteil eines Konservativen ist, hat in einem kürzlich erschienenen Buch den Brand von Notre Dame in Paris als ein Symbol für das bevorstehende Erlöschen der Kirche als gesellschaftliche Kraft beschrieben. La Chiesa bruccia, die Kirche brennt – Krise und Zukunft des Christentums (Tempo nuovi, 2021), Land für Land in Europa ergibt seine Analyse den Zusammenbruch des Katholizismus. In seinen Schlußfolgerungen äußert er natürlich unvermeidlicherweise auch einige Hoffnungen der Art „Die Krise ist nicht das Ende“. Aber zuvor kommen einige ziemlich vergiftete Sätze: „Viele Katholiken sind aus der Begeisterung für Bergoglio in Desillusionierung übergegangen“, oder „Die Lösung wird nicht von (Struktur-)Reformen kommen“, und dabei stellt er auch fest: „Der Traditionalismus stellt innerhalb der Kirche eine bedeutende Realität da, und das sowohl organisatorisch als auch den Inhalten nach.“

Man kündigt den Katholiken, die der überlieferten Form der heiligen Messe anhängen, die Auslöschung an - „Wir müssen mit dieser Messe für immer Schluß machen!“ (Kardinal Parolin), und „Summorum Pontificum ist praktisch tot.“ (Erzbischof Roche). Die traditionellen Katholiken stehen vor schweren Zeiten, falls ihnen das römische Wohlwollen und mehr oder weniger auch die Duldung durch die Bischöfe entzogen würden. Aber glaubt irgend jemand, das würde sie zur Aufgabe bringen? Es könnte gut sein, daß in der sich nun entwickelnden Machtprobe die Wächter der Konzilsliturgie am meisten zu verlieren haben.


[1] Beispielsweise Andrea Grillo : „Il peccato dell’Ecclesia Dei si chiama Summorum Pontificum“, Die Sünde von Ecclesia Dei heißt Summorum Pontificum, auf der Internetseite Munera, http://www.cittadellaeditrice.com/munera/il-peccato-dellecclesia-dei-si-chiama-summorum-pontificum/