Brief 68 veröffentlicht am 21 Juni 2016

Interview mit P. Claude Barthe über die Errichtung der außerordentlichen Form in einer Pfarrei

Am 30. November 2015 veröffentlichte das französische Journal „L‘Homme Nouveau“ ein kleines Büchlein über die verschiedenen Formen der Zelebration der außerordentlichen Form des römischen Ritus. Das Vorwort wurde von P. Claude Barthe verfasst, Kaplan der internationalen Pilgerfahrt „Summorum Pontificum“. (1)

Wir haben die Gelegenheit dieser Buchveröffentlichung wahrgenommen, um P. Barthe zu bitten, einen pointierten Kommentar unseres letzten Briefes geben zu können. Auf diese Weise haben wir ihm die Möglichkeiten gegeben, zu erklären, welche Möglichkeiten einem Pfarrer zur Verfügung stehen, die täglichen und sonntäglichen Messen im liturgischen Geist von Benedikts XVI. Motu Proprio zu bereichern.



P. Barthe führt die Prozession der Summorum Pontificum Pilgerfahrt 2014 durch die Straßen Roms

1) Den Sinn des Heiligen wiederentdecken: Dies ist der erste Punkt über den P. Tisma in seiner Präsentation spricht. An und für sich gibt es da eigentlich nichts Neues, denn es gibt viele Zeugnisse von Laien und Priestern gleichermaßen, die bestätigen, dass ihr Interesse an der außerordentlichen Form des römischen Ritus mit der frommen Sakralität zusammenhängt, die sie mir ihr in Verbindung sehen. In seiner Erkärung stützt sich P. Tisma auf den Begriff des „mysterium tremendung et fascinans“, den der lutheranische Theologe Rudolf Otto seinerzeit ausgearbeitet hatte. Überrascht Sie dieser Vergleich?
P. Claude Barthe: Die Referenz zu Rudolf Ottos Buch „Das Heilige“ in dem der Begriff des „Heiligen“ analysiert und als erschütternd (tremendum) und faszinierend (fascinans) ausgearbeitet wird, ist interessant insofern als dass er gegen die moderne Tendenz steuert, das Transzendente völlig aus der Anbetung auszuschließen und Gott auf unser eigenes Niveau hinunterzuziehen. Aber man muss beide Gegensätze zusammenhalten: Gott ist in seiner Natur der Unverständliche – er kann in seinem Wesen von uns nicht verstanden werden – und dennoch kommuniziert er sich durch die Offenbarung und durch die Fleischwerdung des Wortes, denn er ist Emmanuel, Gott mit uns, der sich zu einem von uns machte.
Der hl. Thomas in der Summa contra Gentiles erklärt, dass die unübertroffene „Passgenauigkeit“ der Fleischwerdung Gottes genau das ist, was uns die Möglichkeit des Erreichens einer ewigen Freude zu verstehen gibt, die in der Vereinigung unserer Seele mit dem besteht, der unendlich über uns hinaus geht. Dies wird dadurch ermöglicht, dass seine Gottheit mit unserer Menschheit vereint wurde. Die Menschheit Jesu Christi – die uns so nahe ist und die in der Kirche weiter besteht – taucht uns in die unergründlichen Tiefen der Gottheit ein, die sich mit der Menschheit vereint hat. Es ist diese Gottheit, die sich uns in den von ihr gewirkten Wundern zeigt, beispielsweise in der Vergebung der Sünden und der eucharistischen Transsubstantiation.

2) P. Tismas ist der Meinung, dass die Liturgie dem Geheimnis beraubt wird, wenn keine Epiphanie (Manifestation) Gottes Herrlichkeit und seiner vollkommenen Heiligkeit stattfinden kann. Teilen Sie seine Meinung?
P. Claude Barthe: Ich schließe mich dieser Aussage völlig an. Es ist ganz richtig für P. Tisma diese Reduktion des Göttlichen auf das rein Menschliche in der Liturgie von heute zu kritisieren, des Glaubens zur reinen Vernunft und vom Transzendenten zum rein Mondänen sozusagen. Diese Liturgie, die erdacht war, um „nahe bei den Menschen“ zu sein, wird für gerade diese uninteressant, in einem solchen Maß, dass viele nicht einmal mehr einen Fuß in die Kirche setzen. Ironischerweise besteht die wahre Geschlossenheit die eine richtig vertandene Liturgie zwischen dem Menschen und Gottes unantastbarer Heiligkeit schafft, in einem Sinn der absoluten Entfremdung. Der deutsche Romancier Martin Mosebach drückt dies wunderbar in seinem Buch „Die Häresie der Formlosigkeit: Die Römische Liturgie und ihr Feind“ aus. Er erklärt, dass das inhärente Paradox der liturgischen Handlung in der Tatsache besteht, dass es das Geheimnis entschleiert und aufgedeckt wird, wobei es gleichzeitig verschleiert verborgen bleibt. Die Anwesenheit des unendlichen und undurchdringbaren Gottes wird mit einem Schleier aus Ehrfurcht, Formen und Riten verdeckt. Aber gerade dadurch wird die Seele in seine Gegenwart und Wahrheit gebracht. Es handelt sich um eine Ephiphanie, die verdeckt, um sich selber zu offenbaren.
Ist eine Konsekrierung, in der Landessprache auf einem Tisch inmitten einer Versammlung von Brot, das dann sofort in die Hand genommen wird, um als Kommunion verzehrt zu werden, besser verständlich als eine Konsekrierung, die in der Ostliturgie inmitten von Gesang, Wolken von Inzens und einer geheimnisvollen heiligen Sprache hinter dem Schleier der Ikonostase zelebriert wird? Die Antwort liegt auf der Hand: im ersten Szenario denkt man, mann versteht es, aber man versteht nichts, denn die Nähe und die Banalität der Liturgie macht eine wirkliche Begegnung des Glaubens schwierig. Auf der anderen Seite bringt der heilige Abstand der Liturgie des hl. Johannes Crysostomos wahrlich die Seele näher zu Gott. Liturgie ist wie die erleuchtete Dunkelheit, in der Moses eine göttliche Offenbarung erhalten hat: gleichzeitig dunkel und blendend. Anders gesagt ist es wie die „helle Wolke“, die die drei Apostel überschattet, die die Verklärung ihres Herrn bezeugen (Mt 17,5).
Denken wir an das Beispiel der „Geburt“ des Allerheiligsten Sakramentes im Herzen der Messe, während der Opferung: Kniebeugen, Fackeln, Weihrauch, Glocken, heilige Tücher, kostbare Objekte um die Eucharistie zu empfangen (Kelch und Ziborium); die Kommunionbank an der man kniet, Hände unter einem weißen Tuch, um die Hostie auf die Zunge zu empfangen, der majestätische Tabernakel, in dem sie aufbewahrt wird. All dies vermittelt einem einen Abstand, der durch Respekt und Ehrfurcht geschaffen wird, gleichzeitig nähert man sich aber dem Geheimnis des Glaubens.

3) P. Tisma gemäß, ist es die Pflicht der Hirten für die Versöhnung der Gläubigen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu kämpfen, vor allem mit der regulären Feier der außerordentlichen Form. Aus einem französischen Blickwinkel gesehen ist dieser Wunsch kein Luftschloss, ein demütiger Wunsch?
P. Claude Barthe: Nun es ist ein demütiger Wunsch und es ist genau das Ziel von Paix Liturgique das zu erreichen, wofür ich nicht genug Lob aussprechen kann. In Frankreich sind die Priester, die diese Aufgabe verstehen, nur wenige an der Zahl, das stimmt, aber die Anzahl steigt. Eine besondere Erfahrung macht es mir möglich, eine Idee zu erwähnen, die durch das Weihnachtsfest inspiriert wurde. In vielen Pfarreien wird die Mitternachtsmesse um 21.00 oder 22.00 Uhr – nach Sonnenuntergang – gefeiert. Es gibt nichts, was den Pfarrer davon abhalten würde, eine Messe für die Gruppe, die der außerordentlichen traditionellen Liturgie anhängt genau um Mitternacht zu feiern. Er könnte sie selbst zelebrieren, oder an einen geschulten Priester delegieren. Das wäre eine Überraschung für die Masse, vielleicht auch für die Pfarrgänger, die normalerweise die ordentliche Form besuchen. Allgemein sollten Pfarrpriester nicht davor zurückschrecken, Priester, die die außerordentliche Form kennen, zu sich zu bestellen, um ihnen auch mit der Beichte, mit Krankenbesuchen und Begräbnissen unter die Arme greifen zu können. Die würde vor allem zu einer Versöhnung unter den Priestern beisteuern.

4) Zusätzlich zu Rudolf Otto zitiert P. Tisma einen weiteren Deutschen, Msgr. Klaus Gamber, um einen in der traditionellen Welt wenig bekannten Begriff einzuführen: die Tatsache, dass die Liturgie eine kleine „Heimat“ für Katholiken ist, und dass sie dieser Heimat beraubt wurden, dadurch liturgisch „heimatlos“ zu werden. Ist dies nicht einer der (leider wenig zitierten) Gründe, warum Soziologen den Sieg des „Identitätskatholizismus“ ausmachen konnten?
P. Claude Barthe: Ja. Msgr. Gamber hat es sehr betroffen, dass Katholiken ihrer „kleinen Heimat“ beraubt wurden, denn im neuen Ritus, der aufs extremste zersplittert ist, gibt es nicht mehr zwei Messen, die einander gleichen. Als ich ein Kind war, haben wir unseren Familienurlaub in Spanien gemacht, nicht weit von unserem Zuhause entfernt. Wir sind in die Sonntagsmesse in einem Dorf gegangen, und die Messe war die gleiche, die ich von meiner Heinmatpfarrei her kannte. Wir haben sozusagen alles verstanden…außer natürlich die Predigt, die auf Spanisch war. Katholiken auf der ganzen Welt konnten sich – wohin sie auch gingen – in der Messe zu Hause fühlen. Zur Zeit der liturgischen Reform wurde noch nicht von der Globalisierung gesprochen, sondern von einem „globalen Dorf“. Es ist wirklich faszinierend, dass die Macher der neuen Liturgie nicht verstanden, dass die Liturgie bereits durch einen universalen Charakter ausgezeichnet wurde, der die Stadttore der ganzen Welt öffnete, diesem globalen Dorf, das die katholische Liturgie ist. Desweiteren – als die Säkularisierung bereits großen Sieg im Katholizismus verzeichnete und das katholische dem globalen Dorf entfremdet wurde – hätten sie sehen können (wenn sie die wirklichen „Zeichen der Zeit“ erkannt hätten), dass Katholiken mehr als jemals zuvor in ihrer Heimat zuhause sein müssen. Nun, wenn der Identitätskatholizismus tatsächlich als Spektrum sich von der SSPX bis zur Gemeinschaft Saint-Martin erstreckt, wenn es praktizierende Katholiken anzieht und Berufung hervorbringt, dann liegt es daran, dass es traditionellen oder traditionsverbundenden Katholizismus anbietet und konkrete Erfahrung dieser Gemeinschaft des Glaubens und eine Zugehörigkeit zur „familia Christi“ darstellt. Die Nutzung des Lateins hat genau damit zu tun: in der römischen Sakralsprache zu beten und zu singen drückt ein Band der Zusammengehörigkeit aus und stärkt es. Leider wurden die katholische Hierarchie und ihre Experten lange Zeit von ihr entfremdet für fast ein halbes Jahrzehnt.


Liturgischer Workshop während des Summorum Pontificum Treffens 2015 in Chile.

5) Gradualität und Kontinuität sind die zwei Prinzipien die P. Tisma vorschlägt, um die außerordentliche Form in den Pfarreien einzuführen und nachhaltig zu verankern. Was meinen Sie?
P. Claude Barthe: Ich bin völlig seiner Meinung. In meinem kleinen Buch über die Einsetzung der Reform der Reform, die die Messe in ihrer außerordentlichen Form als Grundlage nimmt, habe ich mich für den Gradualismus ausgesprochen. Vergeben sie mir, wenn ich mich selbst zitiere: „Die Praxis der Reform der Reform in einer Pfarrei, oder im ordentlichen gottesdienst ist, eigentlich durch seine eigenen Natur, ein gradueller Prozess, eine mehr oder weniger schnelle Transition von einem „ordentlichen“ Stadium in ein „außerordentliches“ Stadium. Das Gesetz der Gradualität könnte hier ohne Gewissensprobleme angewandt werden.“ (2) Dem Latein einen größeren Platz einräumen, die Kommunion auf die Zunge wieder einführen, das erste eucharistische Hochgebet nutzen (den römischen Kanon), den Altar auf den Herrn hin ausrichten, das Stufengebet wieder einführen (das mit verhaltener Stimme gebetet wird) wären einige der wichtigen Schritte, die genommen werden können – Schritt für Schritt. Zum Beispiel könnte der Altar für einige Anlässe „richtig hergerichtet“ werden, für die Wochenmessen, dann für die großen Feste, und dann schließlich für jeden Sonntag. Die meisten Priester, die eine traditionelle Orientierung in ihren Pfarreien vorgenommen haben, haben es auf diese Weise eingeleitet.

6) P. Tisma stellte auch eine einfache Gesten für die konkrete Neuorientierung der Pfarrliturgie vor und einen Weg unseren Herrn Jesus Christus wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu bringen: ein einziger Messdiener für beide liturgischen Formen, „Platzverwaltung“ des Sakralraumes, die Nutzung der verschiedenen Formen der außerordentlichen Liturgie usw. Sie sind mit vielen Pfarrer in Kontakt, die utroque usu zelebrieren: haben Sie andere Beispiele dieser Art?
P. Claude Barthe: Aus einer symbolischen Blickwinkel ist das Wichtigste und auch das schwierigste die Menschen davon zu überzeugen zum Herrn hin zu zelebrieren – da geht es nicht um die Mehrheit der Gläubigen – meinen Sie nicht – sondern den „Reformiertesten“ unter ihnen: Ordensschwestern, außerordentliche Kommunionhelfer, permanente Diakone. Daher ist die Transition wichtig, von der ich sprach und von der man noch einige konkrete Beispiele geben könnte. Ein weiterer Aspekt ist die Heranbildung von Altardienern (viele, wenn möglich), die den Übergang von der ordentlichen zur außerordentlichen Form begleiten können. Alle pädagogisch angelegten Priester können kopierte Büchlein für jede Messe vorbereiten, damit die teilnehmenden Gläubigen den Ritus einfach durch das Weiterblättern folgen können, ob es sich um die „Reform der Reform“ ordentliche oder die außerordentliche Messe handelt. Nicht nur geht dann alles viel flüssiger von der Hand, sondern die Andacht in der Liturgie wächst. Ich könnte viele andere Beispiel anbringen: ein Priester lässt während der Opferung die Orgel spielen, was zur Feierlichkeit des Momentes beiträgt, während er in Stille die traditionellen Gebete rezitiert; ein anderer betet das Eucharistische Hochgebet, entweder lateinisch oder Französisch, nicht laut, sondern flüsternd oder ändert die ganze liturgische Sprache ab der Konsekration sogar zum Latein, was auch eine sakralisierende Wirkung hat. Wieder ein anderer bildete mit seinen Messdienerinnen in eine Sodalität der Kinder Mariens – um Protest zu vermeiden und sie in etwas festliches umzugestalten –, die mit weißen Alben ganz vorne im Hauptschiff sitzen, wie die uniformierten Pfadfinder oder der Chor es tut. Und so weiter.

7) Schließlich nennt P. Tisma auch die Erhaltung der lokalen liturgischen Bräuche oder Privilegien. Ist dies mit der Anwendung des motu proprio Summorum Pontificum und der es begleitenden Instruktionen vereinbar? Haben Bräuche in Frankreich überhaupt überlebt?
P. Claude Barthe: In Frankreich wie anderswo gab es immer antike Bräuche in den Ortskirchen. Diese wurden bis zur Reform von Paul VI. beibehalten, und daher stehen sie nicht in Konflikt mit Summorum Pontificum, denn es dreht die Zeit auf 1962 zurück, vor dem Konzil. Es gab auch immer demütige Bräuche, die den Zeremonien hinzugefügt wurden. Beispielsweise wurden in den größeren Kirchen Frankreichs eine „Suisse“ [eine „Schweizergarde“, quasi-militärische Sorte Küster oder Herold] eingesetzt, der die Kirchenschiffe auf- und ablief, um für Ordnung zu sorgen, besonders während der Kommunion und der mit seiner Hellebarde auf den Boden klopfen würde, um das Zeichen zum Hinknien zu geben. Ich kenne den Suisse von Notre Dame, der dort bis zu den 60er Jahren gedient haben müsste; ein weiterer kam wieder in Sant-Nicolas-du-Chardonnet auf (der SSPX Kirche in Paris), ungefähr 10 Jahre später. Einige Pfarreien oder Gemeinschaften haben auch den Brauch des gesegneten Brotes wieder aufleben lassen, was damals während eines Hochamtes sehr beliebt war. Es handelt sich dabei um mit Anis gewürzten Brioche-artigen Brötchen (je nach Provinz), die dem Zelebranten bei der Gabenbereitung präsentiert werden. Sie werden in kleine mundgerechte Stücke gebrochen und unter den Gläubigen am Ende der Messe verteilt. In einigen religiösen Gemeinschaften wurde bis in die 70er Jahre hinein ein Lamm am Karsamstag gesegnet, das dann für das Ostermahl verzehrt wurde. Auch gibt es Blechbläser, die während des Festes des hl. Hubertus in einer Jägermesse musizieren. Vielleicht sagen Sie, dass es sich dabei nur um längst veraltete Folklore handelt, aber diese ganzen Bräuche sind sehr beliebt. Eine mehr liturgische und sehr französische Eigenart ist die Kantoren, die sich in Roben kleiden, nicht nur für die Vesper, sondern auch für das Hochamt und die vor einem großen Lektionar singen, wenn möglich, was wirklich phantastisch aussieht.