Brief 65 veröffentlicht am 7 März 2016

Die traditionelle Messe aufzugeben war eine mediales Katastrophe!

Die traditionelle Messe als kirchliches „Schaufenster“? Dies war in einem gewissen Sinne das, was ein brasilianischer Werbebeauftragte der brasilianischen Bischofskonferenz erklärte.

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Der Angelus, Jean-François Millet, Musée d'Orsay


I – Die Kirche: Erste Werbeagentur der Welt

Alex Periscinoto, ein Pionier der modernen Werbung in Brasilien, wurde von der Bischofskonferenz seines Landes 1977 eingeladen, um der Kirche dabei zu helfen, über ihr „Image“ zu reflektieren und Mittel zu nutzen, um den Glauben zu fördern. Anstatt eine Vorlesung zu halten, begann Periscinoto – der dieses Jahr 90 Jahre alt wird – in einen freien Dialog mit den teilnehmenden Bischöfen zu gehen. Mehr als zwei Stunden lang erklärte der Werbemanager ihnen, dass die Kirche eigentlich nichts Neues erfinden müsste, denn sie habe bereits alle Kommunikationsmittel, die sie brauche, um die Gläubigen zu anzuziehen. Der Grund sei einfach: sie hat fast alle Werbemittel selbst erfunden!
Dies ist eine informelle Zusammenfassung seines Beitrages. Es ist manchmal etwas schockierend – erklärte der Werbefachmann – aber heute genauso relevant wie vor 40 Jahren.

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Die Kirchenglocken: das erste Kommunikationsmedium
Alex Periscinoto gemäß war sie das erste Mittel der Massenkommunikation der Welt: die Kirchenglocke. Sie war auch das wirkungsvollste: sie erreichte nicht nur 80-90% aller Dorfbewohner, sondern veränderte ihr Verhalten mit jedem Schlag. Denken sie nur an das Angelusgebet, wie es von Millet dargestellt ist. Selbst als die Dorfbewohner weniger andächtig wurden, als Millets Bild es zeigt, wussten sie, dass das Angelusgeläut das Abendessen einläutete, ob sie nun beteten oder nicht.

Der Glockenturm: die erste Werbefläche
Der brasilianische Werbefachmann ging soweit und sagte, dass die Kirche die erste visuelle Anzeigenkampagne erfunden habe. Eine solche Kampagne ziele darauf ab, ein Produkt oder eine Botschaft zu verbreiten, und sich von anderen abzugrenzen. „In der Vergangenheit, als alle Häuserdächer flach waren, bauten Kirchenmänner ein erhobenes Dach, sogar einen sehr hohen Turm über den Dächern, und dazu noch Spitzdächer. Das war sicherlich nicht, um den Schnee besser runterrutschen zu lassen, denn sie wurden auch in Ländern gebaut, die gar keinen Schnee hatten. Ziel war es, dass jeder Besucher des Dorfes sagen würde: „Da ist die Kirche!“ Man konnte den Kirchenglockenturm aus großer Entfernung schon sehen. Wenden wir uns nun wieder dem Gemälde Millets zu: auf dem Horizon hinter dem Paar kann man den Glockenturm des Dorfes ausmachen…

Das Kreuz: das erste Logo
„Sie haben auch das erste Logo erfunden – ein Symbol, das in unserer Wirtschaftswelt so häufig benutzt wird. Es ist das wirksamste und heiligste aller Logos: das Kreuz.“ Periscinoto macht darauf aufmerksam, dass nie jemand vergessen hat, das Kreuz am Eingang jedes Dorfes aufzustellen, und es ist auch auf den Glockenturm zu setzen. Der Werbefachmann provoziert dann noch: „Das Logo ist so gut, dass selbst ein Verrückter wie Hitler es übernommen hat, an allen vier Enden Verlängerungen hinzugefügt hat und damit fast den Krieg gewann.“

Die Beichte: eine Umfrage-Organisation
Die Wissenschaft der Finanzwelt würde nicht weit kommen, ohne Marktstudien. Unser brasilianischer Werbefachmann lässt sich nicht davon abhalten, auch diese Erfindung der Kirche zuzuschreiben! Marktstudien sind grundlegend dafür, ein Produkt auf dem Markt zu fördern. Ohne vorherige Studien könnte die Botschaft falsch verstanden werden, am Ziel vorbeigehen oder sogar eine negative Schockwirkung haben…
„Ja“, behauptet Periscinoto, „es war innerhalb der Kirche, dass das erste Kundenzentrum eingerichtet wurde, das Aufschluss darüber gab, was die Menschen brauchten: die Beichte!“ Für meine Mutter wurde der Beichtstuhl erfunden, um zu vergeben, aber für die Kirchenmänner wurder er auch erfunden, um Informationen und Kundenfeedback einzuholen, da könne man sich sicher sein. Der Spezialist kann seine Faszination eines solchen Ortes nicht verstecken, und der Faszination damit, dass der Befragte nicht lügen wird…

Die Prozession: die erste Karavane von Werbeautos
Periscinoto erklärt, dass Werbekampagnen auch eine Kirchenerfindung sind, was anhand von Prozessionen verdeutlicht wird.
Was ist denn eine marianische Prozession in einem ländlichen Dorf anderes, als Werbung für den Festtag Unserer Lieben Frau, fragte er. „In einer Werbewelt,“ erklärt der Spezialist, „wird in Werbekampagnen viel davon benutzt, was Sie uns beigebracht haben. Wie sie haben wir Vokabular, Flaggen, Uniformen…aber unsere finanzielle Mystik ist überhaupt nicht mit der Ihren zu vergleichen!“

Der Kreuzweg: die erste visuelle Hilfe
Vierzehn Bilder, die das Leiden Christi verdeutlichen. Vierzehn Bilder, die sich in jeder Kirche seit Jahrhunderten finden lassen. Für Periscinoto ist der Kreuzweg die beste visuelle Hilfe der Geschichte.


II – Die beklagenswerte Veränderung der Messe

Der Werbespezialist hatte den Bischöfen noch etwas bedauernswertes zu sagen, die zu der Zeit gerade inmitten ihrer Flitterwochen mit der Moderne waren. Man sollte sich daran erinnern, dass 1977 der Höhepunkt der Zeit des kreativen Enthusiasmus für die neue Messe war, und die Alte Messe als verboten galt – obwohl irgendwo in Brasilien, ein Bischof, Antônio de Castro Mayer, und seine ganze Diözese von Campos dem Missale Paul VI. widerstanden.

Periscinoto: „Sie haben die Messe verändert. Heute ist die Messe nicht mehr auf Lateinisch und der Priester ist den Menschen zugewandt. Ich habe schlechte Neuigkeiten für Sie: meine Mutter hat nie gefühlt, dass Sie ihr den Rücken zukehren; sie dachte, dass sie dort von Angesicht zu Angesicht mit Gott ständen. Sie liebte Latein, auch ohne nur ein Wort davon zu verstehen. Für sie war es eine Sprache – ein mystische Sprache –, in der man mit Gott sprach. Wenn Sie sich am Ende der Messe umdrehten, um die ganze Gemeinde zu segnen, dann war sie stolz darauf, eine Stunde lang auf ihren Knien ausgehalten zu haben. Dieses Gefühl wurde nie aufgegeben. Wenn man sich heute der Gemeinde zuwendet, gibt man einen Teil der Mystik der Begegnung mit Gott von Angesicht zu Angesicht auf. Die Messe auf Portugiesisch verliert, wenn man sie mit der lateinischen Messe verlgeicht, die die Gläubigen bisher erbaut hat. Meiner Meinung nach war diese Veränderung, die gemacht wurde, um die Messe einem breiteren Publikum zugänglicher zu machen, ein riesen Fehler. Natürlich ist es nur meine Meinung, die Meinung einer Person ohne Erfahrungen in der Religion, aber jemand, der seit Jahren in Kommunikaiton arbeitet und die Messe rein aus der Sicht der Kommunikation untersucht.“ 


III – The Überlegungen von Paix Liturgique


In Frankreich im Jahre 1981 hat die Präsidentschaftswahlkampagne eine Dorfkirche auf einem Poster abgebildet.

1) 1981 entwarf der berühmte französische Publizist Jacques Séguéla ein Wahlkampagnenposter für den sozialistischen Kandidaten Jaques Mitterand, den zukünftigen Präsidenten der Republik. Bei näherer Betrachtung sieht man auf diesem Plakat – ein in Frankreich sehr bekannten Bild –, dass Periscinoto nicht der einzige ist, der die Verbindung zwischen einem Bildnis des Glockenturms und einer erfolgreichen Kommunikation herstellt. Periscinotos Denken ist heute genau so relevant wie vor 40 Jahren. Es stellt eine treffliche Synthese der Identitätskrise her, die den Katholizismus plagt, seitdem der „Geist des Konzils“ versucht hat, die Vergangenheit vor dem Konzil auszuradieren. Es gibt gute Gründe dafür, warum heutige katholische Bewegungen aufs Neue einen „Identiätskatholizismus“ erwachen lassen und erneuern, denn sie sie machen sich ganz geziehlt die äußerlichen und sichtbaren Aspekte des Glaubens zu eigen.

2) Das portugisiesche Wort für Werbung ist Propaganda. Bis zum Jahr 1967 wurde das Dikasterium für die Evangelisierung der Völker „Propaganda fidei“ (Propagierung des Glaubens) genannt. Die brasilianischen Bischöfe, die um Periscinotos Rat baten, waren darum nicht verwundert, dass es manchmal Parallelen zwischen den Symbolen des Glaubens und der Welt der Werbung gibt.
Diese Parallelen werden auch nicht Kardinal Robert Sarah verwundern, den derzeitigen Präfekten für den Gottesdienst. Dazu eine Erklärung über das Kreuz seines Dorfes auf Seite 31 seines Interviewbuches mit Nicolas Diat (Gott oder Nichts, fe-Medien, 2015). Er illustriert perfekt, was der brasilianische Werbemann aussagen wollte: „Jeden Abend versammelten die Väter der Ourous ihre Kinder ganz in der Nähe des Kreuzes, das im Missionsterritorium aufgestellt worden war, um das Herz und Zentrum des Dorfes zu versinnbildlichen. Wir konnten es schon von weitem sehen: es gab unserem Leben Orientierung! Unsere menschliche und geistliche Ausbildung fand im Kreuz sein Zentrum.“

3) „Meine Mutter hat nie gefühlt, dass Sie ihr den Rücken zukehren; sie dachte, dass sie dort von Angesicht zu Angesicht mit Gott ständen. Sie liebte Latein, auch ohne nur ein Wort davon zu verstehen. Für sie war es eine Sprache – ein mystische Sprache –, in der man mit Gott sprach.“ Am Ende der Messe war sie glücklich, sagte Periscinoto.
Entgegen einiger Meinungen, die verbreitet wurden, hat das katholische Volk die katholischen Reformen nicht nur mit Freude aufgekommen. Ursache war nicht etwa ein bösartiger Verdacht oder ein Hass für die Messe, sondern auch, oder vor allem, wie Perisconoto erklärt, ein Unverständnis dafür, warum die Liturgie allem beraubt wurde, das seit jeher Quelle des Glaubens und der Erfüllung und des Glücks war. In Werbebegriffen: Warum sollte man mein Wahlprodukt entfernen, wenn die ganze Familie nicht genug davon bekommen kann?

4) Die Gedanken dieses brasilianischen Werbefachmanns in den 70er Jahren, das heißt in einer Zeit, in der die Kirche noch reich an Besuchern und Geld war, zeigt etwas, das heute ganz offensichtlich ist: entgegen den in Mode gekommenen Slogans haben die kirchlichen Würdenträger die „Zeichen der Zeit“ vollkommen falsch gedeutet. Sie unterschätzten die Vorbehalte und die Resistenz gegen den Geist der 68er, ganz allgemein und genauer unter den Jugendlichen. Sie spielten Demagogie gegen den sensus fidei aus. Die Leichtigkeit, mit der sie das liturgische Gewächshaus aufgaben war das sichtbarste Zeichen ihrer vorsätzlichen Blindheit. Das katechetische Disaster das dem Ganzen einher ging bezeugt das Ausmaß ihrer verantwortung. Es brauchte einen Werbefachmass – einen „Modernisten“ par excellence – um es ihnen zu sagen. Seine Worte treffen heute noch den Nagel genauso auf den Kopf, wie vor 40 Jahren…