Brief 46 veröffentlicht am 22 Mai 2014

Interview mit Ulrich Nersinger: "Jede Messe eines Priesters ist nichts anderes als eine Verkürzung und Vereinfachung des Pontifikalamtes."

Nach nur etwas mehr als einem Jahr des Pontifikats überrascht Papst Franziskus immer wieder mit seinem eigenen Stil. Als Jesuit ist er Teil eines Ordens mit langer liturgischer Tradition. Das wirft die Frage auf, wie Franziskus selber zur Liturgie steht, in sich, und in Beziehung zu seinem Vorgänger Benedikt XVI. der der „Reform der Reform“ Anstoß gegeben hatte. Ulrich Nersinger, Historiker, Papst- und Vatikanspezialist beantwortet Paix Liturgique einige Fragen zu Papst Franziskus und der Liturgie.

Ulrich Nersinger ist Historiker und Spezialist für Geschichte der Päpste und des Vatikanstaates. Er studierte Philosophie und Theologie in Bonn, Wien und Rom und am Päpstlichen Institut für Christliche Archäologie. Er ist Mitglied der „Pontificia Accademia Cultorum Martyrum“. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen sind ein zweibändiges Werk „Liturgien und Zeremonien am Päpstlichen Hof" und sein neuestes Werk „Tiara und Schwert - Die Päpste als Kriegsherren“.


1. Ist Papst Franziskus ein Liturg? Die Jesuiten hatten in der Barockzeit die Liturgie „in der Hand“. Ist dieser Aspekt aus der Spiritualität entschwunden?

Jeder Papst hat seinen eigenen Zugang zur Feier der Liturgie. Ich sage bewusst zur Feier, zur Ausprägung des Gottesdienstes. Denn die Sakramente an sich standen und stehen für ein Oberhaupt der katholischen Kirche nie zur Disposition. Die persönliche Einstellung zu liturgischen Formen, die Verwurzelung und die Erfahrungen aus dem eigenen Kulturkreis geben dem Gottesdienst dann sein Erscheinungsbild. Heute erleben wir das bei den Gottesdiensten des Papstes sehr deutlich. Und daher mag der jetzige Heilige Vater dem uns vertrauten Bild des Liturgen nicht immer entsprechen. Aber man darf nicht vergessen, dass auch Benedikt XVI. für viele zunächst nicht der Vorstellung eines Liturgen nahe kam. Es gilt, jedem Obersten Pontifex die Zeit und Möglichkeit des Hineinwachsens in die päpstliche Liturgie zu geben.



2. Wie steht es um die von Papst Benedikt XVI. angestoßene „Reform der Reform“ – können wir weitere Entwicklungen in diesem Sinne erwarten?

Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keine Indizien, dass einer „Reform der Reform“ in Rom ein großes Interesse und besondere Gewichtung zukommt. Dies hat unterschiedliche Gründe. Einer mag auch darin liegen, dass die Zulassung der alten Messe die Diskussion darüber in beträchtlichem Maße verdrängt hat. Aber ich denke, irgendwann wird man wieder zu Überlegungen in Richtung „Reform der Reform“ kommen.


3. Sie haben ein monumentales Werk in 2. Bänden über die Papstliturgie und den Päpstlichen Hof verfasst. Ist heute eine Papstliturgie, mit allem was dazu gehört, überhaupt noch möglich? Viele Reformen haben zur Abschaffung des Hofstaates etc. geführt, die allerdings auch einen Platz in der Liturgie hatten. Würden die Menschen heute diese Liturgie überhaupt noch verstehen?

Vor den Reformen der Sechziger Jahre erforderte die Liturgien des Papstes eine nicht unbeträchtliche Vorbereitung, ein hohes Aufgebot an Mitwirkenden und eine bis ins Detail geplante „Choreographie“. So war die feierliche Papstmesse keine Liturgie, die beliebig oft gefeiert werden konnte. In persona zelebrierte sie der Papst nur wenige Male im Jahr. Die Umwandlung des Päpstlichen Hofes zum „Päpstlichen Haus“ und die damit erfolgte Abschaffung vieler Ämter lassen eine Papstmesse und andere Liturgien vergangener Tage nicht mehr vollziehbar erscheinen – unabhängig davon, welcher Ritus hierzu zur Verwendung fände. Unkenntnis in Glaube, Geschichte und Liturgie wirken überdies dem Verständnis und einer Akzeptanz derartiger Gottesdienste entgegen. Um dem unschätzbaren Reichtum dieser Feiern auch nur ansatzweise zu erschließen, bedarf es einer fundamentalen Unterrichtung, die mir heute nur schwer vermittelbar erscheint, aber auf die man dennoch nicht verzichten sollte.


4. Heute sieht man die Messe von einem Preister als „Kernstück“ der römischen Liturgie, alle weiteren Zeremonien – beispielsweise eines Bischofsamtes – werden als „zusätzlich“ empfunden. In der römischen Liturgie steht allerdings die Papstliturgie an höchster Stelle der liturgischen Hierarchie, alle anderen Liturgien sind abbildlich Abstufungen. Könnten Sie sich dazu äußern?

Man muss sich von dem Irrtum entfernen, die Messe des Priesters als das Ursprüngliche und die feierliche Messe des Bischofs als eine Erweiterung und Ausschmückung zu betrachten. Es verhält sich genau umgekehrt. Jede Messe eines Priesters ist nichts anderes als eine Verkürzung und Vereinfachung des Pontifikalamtes. Und die ursprüngliche Form des Pontifikalamtes kommt der feierlichen Papstmesse am nächsten und ist im Grunde aus ihr entstanden.In der Frühzeit des Christentums versammlten sich die Gläubigen der Ewigen Stadt mit ihrem Bischof in einem bestimmten Gotteshaus zum Gebet und zogen dann in Prozession zu einem weiteren Gotteshaus – dort feierten sie die Eucharistie. Diese Art Zusammenkünfte hieß „statio“ und die Kirchen, in denen sie stattfanden, „Stationskirchen“. Die Stationsfeiern galten als sichtbarer Ausdruck der Einheit der ganzen römischen Gemeinde mit ihrem Bischof. Sie waren nötig geworden, da durch die wachsende Zahl der kirchlichen Gebäude und der gottesdienstlichen Versammlungen eine gewisse Teilung der Gemeinde in lokale Gruppen, den Pfarreien, eingetreten war. Die Bedeutung des alten römischen Stationsgottesdienstes ist in der jüngsten Vergangenheit wiederentdeckt worden und fand daher auch im „Caeremoniale Episcoporum“ von 1985 seine Würdigung und Adaptierung. Das bischöfliche Zeremonienbuch spricht in seinem ersten Kapitel „von der Stationsmesse des Diözesanbischofs“ und verwendet für die Feier eines Pontifikalamtes ausschließlich den Ausdruck „missa stationalis“.


5. Wie steht Papst Franziskus zum außerordentlichen Ritus – konnten Sie etwas beobachten?

Ich denke, dass für Papst Franziskus der ordentliche Ritus die Richtschnur des liturgischen Handelns der Kirche ist. Aber unabhängig von der jeweiligen Person des Heiligen Vaters und von seiner Einstellung zu den beiden Ritusformen wird ein Papst die Feier der Sakramente, und im besonderem die Zelebration der heiligen Messe, vermutlich immer in der ordentlichen Form vollziehen. Zu groß ist die Gefahr einseitig vereinahmt zu werden oder in ein Kreuzfeuer zu geraten, bei dem die Einheit der Kirche Schaden nehmen würde.


6. Leben wir in einer Zeit liturgischen Friedens?

Altar kann und darf nicht gegen Altar stehen. Liturgie ist immer Feier der Einheit des Gottesvolkes – und immer auf Gott gerichtet. Ausschlaggebend müssen die Worte sein, die Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch in Österreich im September 2007 (Stift Heiligenkreuz) als prägnante und richtungsweisende Katechese zum gottesdienstlichen Handeln der Kirche gegeben hat: „Bei allem Bemühen um die Liturgie, muss der Blick auf Gott maßgebend sein. Wir stehen vor Gott; er spricht mit uns, wir mit ihm. Entweder ist sie ‚opus Dei’ mit Gott als dem eigentlichen Subjekt oder sie ist nicht … Gestaltet die Liturgie aus dem Hinschauen auf Gott in der Gemeinschaft der Heiligen, der lebendigen Kirche aller Orte und Zeiten so, dass sie zu einem Ausdruck der Schönheit und Erhabenheit des menschenfreundlichen Gottes wird.“