Brief 34 veröffentlicht am 3 April 2013

Montréal 1975: Gegen jede Gerechtigkeit werden 2000 Gläubige und 3 Priester auf die Straße gesetzt…

„Ich hoffe, dass dieses Interview dabei helfen kann, zu einer Übereinstimmung zu kommen. Für das was geschehen ist müssen wir Pius V. zurücklassen und Paul VI. folgen, der allein die Jurisdiktion über die Kirche hat.“

Erzbischof Grégoire von Montréal zu den Patres Normandin, Bleau und Lemay am 26. August 1975.

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Wenn die traditionelle Liturgie heute „normal“ ist, wie Kardinal Cañizares es ausdrückte, (zumindest fast…), dann ist dies nicht nur so Dank des em. Heiligen Vaters Benedikt XVI., der sie als die „außerordentliche Form des Römischen Ritus“ wiederhergestellt hat, sondern auch dank all jener, die dem de facto-Verbot des tridentinischen Missale widerstanden haben, auch wenn dies bedeutete, aus ihren Pfarreien hinausgeworfen und wie Aussätzige behandelt zu werden…

P. Yves Normandin, 1975 Pfarrer der Pfarrei Saint Yvette in Montréal, seine Assistenzpriester und seine Gläubigen waren die Art von Kämpfern, deren Geschichte nochmals wiederzugeben richtig und nützlich ist. Lesen Sie bis zum Ende weiter, es lohnt sich!


I – Eine Pfarrei zerstreitet sich über die liturgische Sprache, Artikel aus der „Montréal Gazette“

Die Gazette ist Montréals historische englisch-sprachige Tageszeitung. In ihrer Ausgabe vom 21. November 1975 berichtete sie mit einem Foto von P. Normandin über die Krise, von der zu der Zeit die Pfarrei Saint Yvette geschüttelt wurde, deren Pfarrer er war. Seit Mai 1975 war die Pfarrei ausschließlich zum tridentinischen Missale zurückgekehrt.

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Rechtlicher Kampf braut sich zusammen

Ein Kampf an St. Michel- Kirche im Nordend zwischen traditionellen und modernen Katholiken droht vor das Zivil-Gericht zu gehen.

P. Yves Normandin (53) und seine Anhänger glauben an die traditionelle lateinische Messe, die vor mehr als 400 Jahren von Pius V. festgelegt wurde. Ihre Gegner im Glauben, angeführt von Montréals Erzbischof Paul Gregoire, wollen die Messe in der Kirche St. Yvette auf Französisch gefeiert sehen, wie sie 1967 in den katholischen Diözesen Quebecs eingeführt wurde.

P. Normandin und einige seiner 2000 Pfarrmitglieder beten seit dem 14. Mai im alten lateinischen, tridentinischen Ritus und wurden von der Erzdiözese von Montréal gebeten, diese Form aufzugeben. Die Sommer-Unterredungen zwischen der Erzdiözese und P. Normandin eskalierten und am 5. November warf Msgr. Gregoire den Priester hinaus und gab ihm eine Woche Zeit, die Pfarrei zu räumen.

Unverzüglich ging P. Normandin mit dieser Entscheidung nach Rom, und eine Gruppe seiner Anhänger besetzten die große Kirche und das Rektor-Haus. Am Mittwochabend forderte eine Delegation von Kirchenwächtern, begleitet von einem Rechtsanwalt, den Priester und die Gläubigen dazu auf, die Kirche zu verlassen.

Rechtliche Folgen

Die Gruppe setzte sich zur Wehr und die Wächter drohten P. Normandin und seinen Anhängern mit rechtlichen Maßnahmen in den kommenden Tagen.

Seitdem die lateinischen Messen im Mai begannen, lief St. Yvette vor Messteilnehmern förmlich über; die meisten Gläubigen kamen aus den benachbarten Pfarreien der Insel.

St. Yvette ist fast genau in zwei Hälften gespalten; entweder sind die Gläubigen auf Seite von P. Normandin oder sie gehen woandershin in die Messe – beispielweise in die benachbarte Kirche St. Lucie.

Das Laien-Komitee, das den Pfarrer unterstützt, hat der Erzdiözese vorgeworfen, „zur Lösung eines Kirchen-Problems zum Zivilrecht zu greifen, weil sie uns mit dem kanonischen Recht nicht widerlegen kann“. Die Gruppe erklärt: „Zum Zivilrecht zu greifen unterwirft die Kirche dem Staat, etwas, was wir nicht akzeptieren können. Tatsächlich sind die Autoritäten damit Verfolger der traditionellen Messe“, behaupten sie.

P. Normandin begründet seinen Widerstand mit einer päpstlichen Bulle, oder Anordnung, veröffentlicht im Jahr 1570 von Papst Pius V., die erklärt, dass die Tridentinische Messe „bis in alle Ewigkeit“ gefeiert werden solle. In der Bulle steht auch, dass eine Änderung der tridentinischen Messe niemals erzwungen werden dürfe. P. Normandin erklärt, dass deshalb kein Bischof und nicht einmal ein Papst ihn daran hindern könne, die Messe nach diesem alten Ritus zu zelebrieren.

„Warum kann ich nicht die Liturgie nutzen, in der ich aufgewachsen bin und die mir am meisten bedeutet?“, fragt er.

„Für viele Menschen waren die Änderungen der sechziger Jahre ein Versagen. Die Menschen waren nicht zufrieden. Darum ereignete sich dies in St. Yvette. Wir hatten doch alle die neuen Riten ausprobiert.“

P. Normandin erklärt, er habe mit einer traditionellen lateinischen Sonntagsmesse seit Januar 1973 begonnen und sei dann ganz zur lateinischen Liturgie übergewechselt.

„Es ist mehr Würde und Respekt in dem alten Ritus“, so Normandin. „Die Menschen behandeln Gott nicht als einen gleichberechtigten, sondern geben ihm die Ehre, die ihm gebührt. Der Priester wird der besondere Vermittler – das soll er sein –, und nur der Priester darf die heiligen Gefäße berühren und die Kommunion austeilen.“

Kein Geheimnis

P. Normandin erläutert, dass die Entscheidung, die Alte Messe aufzugeben, von der kanadischen Bischofskonferenz während des Sommers getroffen wurde: „Msgr. Gregoire hat keine Kontrolle über seine Erzdiözese mehr. Seine Entscheidungen werden von seinen Bischöfen aufgenommen, als ob sie eine gemeinsame Arbeits-Front wären.

Obwohl P. Normandin kein Geheimnis aus seiner Auseinandersetzung mit Msgr. Gregoire macht, erkennt er ihn als seinen Bischof an.

Aber Msgr. Gregoire erklärte– in einem offenen Brief an die Pfarrmitglieder der Pfarrei St. Yvette aus diesem Monat –, dass er mit großem Schmerz und Leid den Priester aus der Pfarrei entfernt habe. Msgr. Gregoire besteht darauf, dass es zwar nicht verboten sei, die Messe auf lateinisch zu beten, aber Normandin gehe nicht auf die Bedürfnisse der ihm anvertrauten Gemeinde ein. Laut des Erzbischofs widersetze sich P. Normandin durch seine Ablehnung, die Messe im neuen Ritus zu feiern, den Regeln, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil und Paul VI. festgelegt worden seien.

In der Gegend von Montréal wird in mehreren Kirchen die Messe auf Lateinisch gefeiert. St. Patrick‘s am Dorchester Boulevard hat jeden dritten Sonntag im Monat eine lateinische Messe. Aber die lateinische Messe wird dort nach dem neuen Missale von Paul VI. zelebriert.

P. Normandin erklärt, der neue Ritus -auf Französisch, Englisch oder Lateinisch- sei weder heilig noch sinnvoll oder respektvoll gegenüber Gott. „Die Kirche dachte, Probleme durch die Einführung eines neuen Ritus lösen zu können. Die Dinge heute betrachtet – die Kirchen sind leer, junge Menschen erkennen die Kirche nicht einmal mehr an – lässt vermuten, dass es wieder an der Zeit ist, den alten Ritus in Montréal zu feiern. Ich gehe nach Rom und hoffe, genau das zu erreichen. Die Menschen hier wollen den alten Ritus.“

Msgr. Gregoire erklärte dagegen, dass die Menschen nicht länger in der Vergangenheit leben könnten und davon träumen, wie die Dinge waren. Vielmehr müssten sie bereit für Änderungen sein, da die Anforderungen sich änderten.



II – Die Kommentare von Paix Liturgique


Links: St. Yvette, seit 2001 nicht mehr für den katholischen Kult zugänglich. Rechts: St. Irenee, Heimstatt der Lateinischen Katholischen Gemeinde Saint Paul

1) Schrittweise Reform anstelle von rapider liturgischer Revolution: die Montréal-Affäre ist ein historisches Beispiel für die nach-konziliaren Jahre. P. Normandins liturgische Praxis in St. Yvette hat starke Ähnlichkeit mit den Aktivitäten von Erzbischof Lefebvre in Écône in den selben Jahren, der viel kluger, behutsamer und realistischer war als viele zu meinen scheinen: zunächst wird eine liturgische Reform in ihrem traditionellsten Sinne angewandt; dann wird ein wenig Tradition zurückgebracht (in Écône wurde das „1965er Missale“ ausprobiert); und schließlich gibt es eine gänzliche Rückkehr zum traditionellen Ritus in seiner vorkonziliaren Form („1962“).

In St. Yvette hat P. Normandin bis 1973 gewartet, d.h. sechs Jahre, nachdem die Bischöfe von Québec das französische Missale übernommen hatten, um eine monatliche traditionelle Messe wieder einzuführen –grundsätzlich eine Reform im Stil Benedikts XVI., zunächst von dem Wunsch nach Bereicherung und Verbindung der Gemeinde mit den Glaubenswurzeln genährt.

Es ist ein persönliches Merkmal der meisten Priester, die Ungerechtigkeit und Schmach seitens der Bischöfe in den 70er Jahren erdulden mussten: Menschen mit starken Überzeugungen, aber mildem Charakter und einem feinfühligen pastoralen Sinn werden dazu gezwungen, angesichts der blinden Rechtsandrohung unermüdliche Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit zu werden.

2) Die andere Lektion, die wir von der Situation von Saint Yvette lernen können, ist ihre kanonische Dimension: Im Jahre 2007 hat Benedikt XVI. mit dem Motuproprio, das die Kraft eines „universalen Kirchengesetzes“ hat, wie in Paragraph 2 von „Universae Ecclesiae“ unterstrichen wird, der kanonischen Unregelmäßigkeit, an der Exklusivität des Missale von Pauls VI. festzuhalten, endgültig ein Ende gesetzt. Dennoch, obwohl der Heilige Vater erklärt hat, dass die traditionelle Liturgie niemals abgeschafft worden sei, erwies sich die Lage in der Praxis als eine ganz andere, wie die Montréal-Affäre vor Augen führt.

Trotzdem, da Erzbischof Gregoire selber P. Normandin dazu einlud, zwischen Paul VI. und dem hl. Pius V. zu wählen, sollten wir uns daran erinnern, dass, als der hl. Pius V. sein Missale als die universale Liturgie der lateinischen Kirche etabliert hat, in seiner Bulle „Quo Primum“ sorgte er dafür, nicht nur den Gebrauch dieses Missale „in Ewigkeit“ zu garantieren, sondern auch die Freiheit der einzelnen liturgischen Formen, die kanonisch über den Zeitraum von zweihundert Jahren festgelegt worden waren.

So oft sind Priester und Gläubige sich ihrer eigenen Rechte nicht bewusst, und wenn sie es sind, trauen sie sich nicht, auf die entsprechenden kanonischen Wege zur Respektierung ihrer Rechte zurückzugreifen. Aber im Fall von St. Yvette reagierten P. Normandin und seine Anhänger sofort und setzten sich gegenüber den Aktionen, die gegen sie unternommen wurden, zur Wehr. Und dann…


III – Ein glückliches Ende für einen beispielhaften Widerstand

Und dann… im Jahre 1985, zehn Jahre nach dem Rauswurf von P. Normandin aus St. Yvette, akzeptierte es Erzbischof Grégoire, immer noch Erzbischof von Montréal (er wurde 1988 zum Kardinal kreiert), ihm die Vorteile zuzugestehen, die durch die Bestimmungen in dem Rundbrief „Quattuor abhinc annos“ der Kongregation für den Gottesdienst festgelegt worden waren, dem so genannten 184-Indult.

Nach zehn Jahren der Heimatlosigkeit (besser, Kirchlosigkeit) und aktivem Beitrag zu dem Aufbau der FSSPX in Kanada kehrte P. Normandin 1985 tatsächlich nach Montréal zurück, um Kaplan der lateinischen katholischen Gemeinschaft „Saint Paul“ zu werden, eingesetzt durch denselben Prälaten, der ihn 1975 aus St. Yvette herausgeworfen hatte.

P. Normandin war Kaplan der Gemeinschaft bis zu seinem Ruhestand im Jahre 2009. Anders als viele seine Mitbrüder, die inmitten von Gleichgültigkeit und Verachtung starben, wurde er Zeuge der Versöhnungsgeste von Benedikt XVI. am 7. Juli 2007.

Seit dem 1. Januar 2010 ist P. Bleau neuer Kaplan der Gemeinschaft „Saint Paul“. Er stand P. Normandin all die Jahre hindurch zur Seite und bildete die Speerspitze der kanonischen Antwort auf die Ungerechtigkeiten, die sich 1975 ereignet hatten. Auf lange Sicht gewinnen immer Recht und Gerechtigkeit – solange man alles tut, um sie zu verteidigen.