Brief 27 veröffentlicht am 21 August 2012

Das „Saint-Paul-Zentrum“: Wie Tradition der Neuevangelisierung hilft

Seit dem Jahr 2055 dient ein „Sentier“-Workshop* als ein ungewöhnliches und doch fruchtbares Experiment der Tradition im Dienst der Evangelisierung – oder besser, wie es Benedikt XVI. nennt, der „Neuevangelisierung“, die darauf abzielt, den Glauben in den historisch katholischen Ländern wieder zu beleben. Der Gründer dieses Projekts ist ein untypischer Priester, ein früheres Mitglied der Priesterbruderschaft Sankt Pius X: Pater Guillaume de Tanoüarn. Er und einer seiner Gläubigen machten mit uns eine Besichtigung des „Saint-Paul-Zentrums“, einem Ort, an dem liturgische Tradition, kulturelle Innovation und intellektuelle Kreativität in voller Harmonie mit der Liebe zu Christus stehen. Die Lebendigkeit dieses Ortes wird aber dennoch unentwegt vom Kardinalerzbischof von Paris ignoriert.


I – Ein Portrait des „Saint-Paul-Zentrums

Es ist ein Werktag. Gegenüber liegt das „Café du Croissant“ in Paris, genau der Ort, wo Jean Jaurès ermordet wurde.** Wir treffen uns mit P. Tanoüarn nach seiner Morgenmesse; einer seiner Gläubigen ist auch anwesend. Natürlich kennen wir P. Tanoüarn und haben sein ungewöhnliches theologisches und philosophisches Kaliber verfolgt. Trotzdem haben wir bisher diesem Apostolat keine große Aufmerksamkeit geschenkt, das er jetzt seit sieben Jahren, nämlich seitdem er die Bruderschaft Sankt Pius X. verlassen hat, im „Saint-Paul-Zentrum“ (CSP) leitet.

Wir wissen, dass er im Jahr 2006 unter den Gründern des Institutes des Guten Hirten (Institut du Bon Pasteur, „IPB“) war, einem Ecclesia-Dei-Institut, mit dem Kardinal Castrillón unbedingt Priester-Gemeinschaften gewinnen wollte, die volle Einheit mit Rom wünschten. Wir wissen auch, dass das IPB eine sehr junge und gemischte Realität darstellt und daher viele Probleme und Wachstumsstörungen aufgetreten sind; vor kurzem war es in der Tat Objekt einer kanonischen Visitation, die Kardinal-Erzbischof Ricard von Bordeaux angeordnet hatte. Aber es ist nicht die Aufgabe von Paix Liturgique, sich in die inneren Angelegenheiten von verwandten religiösen Gemeinschaften einzumischen.

Nein: heute versuchen wir nur zu verstehen, was im „Saint-Paul-Zentrum“stattfindet, um die Bandbreite seines Arbeitsfeldes zu abzumessen und um herauszufinden, welchen Platz es in der Diözesanlandschaft von Paris einnimmt. Wir wissen sehr gut, wie engstirnig diese Diözese ist, wenn es um das Experiment der Tradition geht.

Unsere allererste Frage an P. de Tanoüarn ist: „Warum der Heilige Paulus?“

An erster Stelle, weil der Heilige Paulus der Missionar par excellence ist, und weil ich ein Zentrum mit einem missionarischen Geist eröffnen wollte. Es genügt nicht, sich mit einem ausgewiesenen traddy ™ Kreis zufrieden zu geben, der zunehmend nicht-kämpferisch wird. Wir müssen unsere Ressourcen anderswo finden.

Dann bin ich auch der Theologie des Heiligen Paulus sehr zugeneigt, die auch die des heiligen Augustinus und Pascals ist, eine Theologie, die die Erbsünde und die heiligmachende Gnade (vgl. Röm 5-8) kennt, eine Theologie, die heute nicht mehr gepredigt wird, wodurch das Risiko entsteht, dass unsere Kirchen leer werden. Schließlich weil man beim heiligen Paulus keine besondere Spiritualität findet, sondern die Universalität der Anfänge.


Die missionarische Berufung des „Saint-Paul-Zentrums“ wird zu allererst durch seine Lage auf der Rue Saint-Joseph im Herzen des Stadtteils Sentier ausgedrückt. Einerseits ist es in dieser Nachbarschaft während der Woche sehr belebt und daher offen für die Welt der Arbeit, andererseits bietet die Metro-Anbindung eine Möglichkeit für die Gläubigen, sonntags hierher zu gelangen.

Der Ort ist auch weit genug vom Ouartier Latin entfernt, um nicht mit Saint-Nicolas-du-Chardonnet in Berührung zu kommen oder zu konkurrieren, wo P. de Tanoüarn mehr als zehn Jahre lang Vikar war.

Geographisch erstreckt sich das „Saint-Paul-Zentrum“ über 400 Quadratmeter, verteilt auf vier Stockwerke an der Rue Saint-Joseph, einer für das Sentier-Viertel typischen Straße. Der Rückgang der Bekleidungsindustrie hat hier in den letzten Jahrzehnten viele kostengünstige Standorte frei werden lassen, die zwar einen eigenen Charakter, oft aber auch einen eigenartigen Grundriss haben. Das CSP, dessen Miete von der Großzügigkeit der Gläubigen abgedeckt wird, ist ein solcher.

Die ebenerdige Kapelle ist ein großer Raum mit riesigen Säulen, die leider den Gläubigen nicht gerade dabei helfen, den Altar zu sehen, besonders seitdem eine moderne Treppe auf der linken Seite zum ersten Stock führt. Im ersten Stock befinden sich die Klassenräume und die Büros der Priester. Der zweite Stock ist bewohnt. Der Keller, der auch von der Kapelle aus zugänglich ist, besteht aus kleinen Räumen, die zwar ausreichend angenehm, aber dennoch Kellerräume sind, und zur einen Hälfte als Lager, zur anderen Hälfte als Versammlungsräume genutzt werden.

Das CSP bot im Jahr 2005 sonntags drei Messen an. Seither stieg die Zahl auf fünf Sonntagsmessen: um 9, 10, 11, 12.30 und um 19.00 Uhr. Diese werden von zwei oder drei Priestern gebetet, sodass P. de Tanoüarn immer einen Mitbruder als Assistenten hat. Er kann auch auf die Aushilfe von Besuchs-Priestern zurückgreifen, wenn es die Situation erfordert. Das Endergebnis: Jeden Sonntag zieht das Zentrum 250 Gläubige mit zunehmender Tendenz an. Es gibt an jedem Werktag zwei Messen.

Dies ist ein ziemlich dichter liturgischer Zeitplan für ein solches Gebäude. Dazu kommt die Spezialität des Zentrums: Katechese, die sich besonders auf die Erwachsenentaufe spezialisiert hat; Vorträge und Debatten über eine Vielzahl von Themen; Kurse und Dienste, die der sozialen Integration der Teilnehmer dienen sollen. Tatsächlich ist eine große Anzahl der Gläubigen und Besucher dieses Zentrums unverheiratet und isoliert.

„Mit unseren Vortragsreihen, unseren Erwachsenenkursen und unserem Berufungstraining möchten wir uns allen Menschen, besonders isolierten Arbeitern, ermöglichen, mit der sozialen Tradition der Kirche in Berührung zu kommen“, erklärt der Pater.

Allen und an verschiedenen Tagen den Zugang zur hl. Messe und zur katholischen Spiritualität und Kultur anzubieten: mit einem Wort ist das die Herausforderung, der man sich in den letzten sieben Jahren auf der merkwürdigen Rue Saint-Joseph stellt.

Der Kommentar am Ende unserer Tour kommt von Willy, einem Laien, der den Pater begleitet. Er erklärt: „Dieser Ort ist klein und unpraktisch; gleichzeitig stehen so viele der Kapellen in Paris leer…“.

Da wir gerade von Willy sprechen: Er ist ein gutes Beispiel für die Arbeit des Zentrums Saint-Paul: Als gebürtiger Pariser aus dem Vorort Saint-Antoine ist er ein junger Katholik, trotz seines Alters von 80 Jahren. Tatsächlich wurde er gerade erst getauft, an Ostern 2009, natürlich im CSP.

Diese Konversion fasziniert uns und Willy erklärt sie uns mit kecker Einfachheit: „Ich habe einige Freunde in der Provence, in der Nähe von Le Barroux, die normalerweise ein außerordentlich gutes Brot zu essen bekommen. Jedes Mal habe ich es gelobt und sie erklärten, dass es von den Mönchen in der Nähe gebacken werde, und fügten sofort hinzu: „Sie machen gutes Brot, aber sie sind schlechte Priester“. Was ich verstand, war, dass sie kritisiert wurden, weil sie zu traditionell waren, meine Neugier war geweckt und ließ mich schließlich Le Barroux entdecken. Ich nahm zunächst an einem Einkehrtag teil, es folgte ein weiterer, bis ich mit den Mönchen über meinen Wunsch sprach, getauft zu werden. Und es waren sie, die mir vom „Saint-Paul-Zentrum“ erzählten.

Für Willy, der keine Vorstellung von der katholischen Liturgie hatte, war die traditionelle Art der Zelebration natürlich die „richtige“. Dann kam er von der gesicherten Schatztruhe in Le Barroux in die Ungemütlichkeit des „Saint-Paul-Zentrums“ und er gestand, dass er „wütend wurde, als ich herausfand, unter welchen Bedingungen die Messe hier stattfindet“. Bis er verstand, dass es sich dabei um die „Armut von Christi Geburt im Stall von Bethlehem handelt“. Obwohl er sich keine Illusionen über eine mögliche Anerkennung durch die kirchlichen Autoritäten in Paris macht, wünscht sich Willy doch von der Diözese eine kleine brüderliche Aufmerksamkeit den Gläubigen und Priestern gegenüber, denn für ihn gibt es keinen Zweifel daran, dass es „noch mehr Gläubige geben würde, wenn der Gottesdienstraum angemessener wäre“.

In diesem Punkt ist er einer Meinung mit P. de Tanoüarn, der uns anvertraut, dass er die Erzdiözese um einen Zeitraum in einer Kirche an Sonntagabenden für Gottesdienst und Evangelisierung gebeten habe. Er erläutert, dass das Motu Proprio die Beziehungen mit dem Klerus verändert habe, und versichert uns, dass die Pariser Priester einen Platz für das „Saint-Paul-Zentrum“ bewilligen würden, .. wenn der Bischof grünes Licht gäbe.

Zur Illustration der Beziehungen zwischen dem Summorum-Pontificum-Klerus und dem Diözesanklerus berichtet er, dass die gelegentlichen Zelebrationen der traditionellen Liturgie bei Taufen, Jubiläumsmessen oder Hochzeiten nur noch sehr selten ein Problem für die Pfarrei darstellten.

Am Schluss bekräftigt P. de Tanoüarn ohne zu zögern seine Gemeinschaft mit dem Bischof und seine Treue zu Benedikt XVI. durch seine Teilnahme an der Chrisammesse seit 2007: „Der Papst hat uns den theologischen Rahmen für einen wahren Frieden in der Kirche gegeben. Man muss diesem Rahmen treu sein, ohne zu mogeln“, erklärt er. Seiner Meinung nach wird nur eine ehrliche und demütige Bereitschaft -was nicht bedeutet, dass sie naiv und unterwürfig ist-, „zu der Neuentdeckung der Zukunft des traditionalistischen Widerstandes“ beitragen und „Neuevangelisierungstradis“ den Weg bereiten. „Unser Wunsch und unsere Herausforderung sind es“, schließt er, „zu zeigen, dass die traditionelle Liturgie missionarisch ist und der Wiederevangelisierung dienen kann.“


II – Überlegungen von Paix Liturgique

1) Die Geschichte des „Saint-Paul-Zentrums“ beinhaltet ein Zusammentreffen, wie sich der Gründer beeilt hervorzuheben: Sie begann zur gleichen Zeit wie das Pontifikat von Benedikt XVI. Während der Einweihungsmesse am 1. Mai 2005, dem Fest des hl. Josephs des Arbeiters, bezeichnete P. de Tanoüarn dieses Zusammentreffen in seiner Predigt als ein „Zeichen, in dem sich die göttliche Vorsehung manifestiert“. Ein Papst mit dem Namen Joseph, eine Kapelle auf der Rue Saint-Joseph unter dem Patronat des hl. Joseph, eingeweiht an einem Tag, der dem hl. Joseph gewidmet ist…Tatsächlich wirkt hier die Vorsehung. Sie wirkt so sehr, dass der Papst das erste Heilige Jahr seines Pontifikats sogar dem hl. Paulus widmete!

2) Das Schicksal des „Saint-Paul-Zentrums“ zeigt sicherlich die fehlende Großzügigkeit, mit der Gläubige und Priester, die zu Rom zurückkehren, in Paris, aber auch anderswo behandelt werden. In diesen Tagen der Versöhnung zwischen Rom und Ecône, über die wir uns sehr freuen, ist es durchaus gerechtfertigt, unsere Hirten an ihre erste Verantwortung zu erinnern: Liebe zu den Seelen, die ihnen anvertraut sind.

3) Bei der Erklärung das Doppelpatronat des hl. Joseph, dem Beschützer und des hl. Paulus, dem Apostel, drückte P. de Tanoüarn sich in der ersten Predigt im „Saint-Paul-Zentrum“ so aus: „Es kann keine Ausbreitung ohne Bewahrung geben, wir würden uns sonst selbst etwas vormachen“. Ein Motto, das auch trefflich das Pontifikat Benedikts XVI. beschreibt….

4) Während bestimmt französische Prälaten, allen voran der Kardinal von Paris, weiterhin die Gläubigen ihren liturgischen und pastoralen Vorstellungen anpassen wollen, sollte der Mut von P. de Tanoüarn, eine Annäherung an den Glauben zu bieten, die gleichzeitig spirituell, kulturell und liturgisch ist, begrüßt werden. In der Tat bezeichnet einer der Gläubigen des CSP das Zentrum als „einen Ort, wo Meinungsfreiheit bewahrt wurde. Es ist auch ein Haus der Liebe, wo schließlich Traditionalisten nicht drohend ihr Banner schwingen oder Beschimpfungen und Verbannungen austeilen. Deswegen haben viele IHREN Platz hier gefunden, an diesem Ort, wo man das Recht hat, zu DENKEN, ohne die Diktate des Modernismus…oder des Integralismus“.

*Der „Sentier“-Stadtteil ist ein Webereidistrikt in Paris

** Jean Jaurès war ein bekannter französischer sozialistischer Parlamentarier und Pazifist, der am Vorabend des Ersten Weltkrieges ermordet wurde.