Brief 21 veröffentlicht am 25 Januar 2012

Die traditionelle Liturgie als ökumenische Brücke

Die Verbannung der traditionellen römischen Messe ist wie eine Versuchung, den Skandal zu vermeiden, wie es der Apostel sagt (1 Kor 22-25), der vom Kreuz Christi provoziert wird. Aus Gründen des Ökumenismus. Allerdings war dieses Verschwinden paradoxerweise auch eine Katastrophe für das Bild, das die katholische Kirche den Orthodoxen, den Anglikanern und vielen Lutheranern bot. Wenn man zu sehr den Menschen gefallen will, dann büßt man oft die Wertschätzung oder überhaupt die Beachtung ein.

Wenngleich diese Dinge heutzutage mit größerer Freiheit ausgesprochen werden können als in der Vergangenheit, ist es doch ausgesprochen selten, dass sich ein hochrangiger Prälat dieses Themas annimmt. Es war also durchaus kein gewöhnlicher Moment, den die Teilnehmer des dritten römischen Kolloquiums über das Motu Proprio Summorum Pontificum am vergangenen 14. Mai erleben durften, als sie vom Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, persönlich bestätigt wurden.

Beachtenswert ist, dass die Ansprache des Schweizer Prälaten, in der er die außerordentliche Form des römischen Ritus zum Instrument der ökumenischen Annäherung erklärte, großen Anklang beim Publikum fand, das sich an diesem Tag im Angelicum eingefunden hatte.

Während die Verteidiger der liturgischen Reform immer den ökumenischen Wert des Novus Ordo verteidigt hatten, hat das, was wir als „Geheimnis der Ökumene“ des Heiligen Vaters definieren könnten, die authentisch ökumenische Qualität der traditionellen Liturgie hervorgehoben. Und zweifelsohne nicht nur in Beziehung zu den alten östlichen Liturgien, sondern auch als Stimulus für das Verständnis des Novus Ordo im Sinne der Tradition. Indem das Motu Proprio die neue Liturgie der Tradition annähert, wirkt es als „inner-katholischer Ökumenismus“ und wird zum Garanten eines wahren Ökumenismus.

Indem der Kardinal auf der Tatsache insistierte, dass keine Dimension des eucharistischen Geheimnisses im Zweiten Vatikanischen Konzil so angefochten wurde wie die Definition der Eucharistie als Opfer -als Opfer Jesu Christi und gleichzeitig der Kirche-, berücksichtigte er auch die berechtigte Angst, dieser wesentliche Inhalt des katholischen Eucharistieglaubens könnte völlig verschwinden.

Schließlich bediente sich der Kardinal einer bildlichen Sprache, um daran zu erinnern, dass die Konzilsväter in keinem Moment vorhergesehen hatten, dass die Ausrichtung der Altäre sich ändern und die Messe zum Volk hin in völliger Verachtung der liturgischen Tradition die Oberhand gewinnen würde. „Haben sich jemals Passagiere eines Autobusses darüber aufgeregt, dass der Busfahrer ihnen seinen Rücken zuwendet und die Straße vor sich beobachtet?“, fragte er, bevor er erklärte, dass die ordentliche Form des römischen Ritus als einzige liturgische Tradition erlaubt, Gott den Rücken zuzukehren. „Könnte man sich einen Muslim vorstellen, der, wo er sich auch befinden mag, auf den Gedanken käme, nicht in die Richtung Mekkas zu beten? Und würde jemals ein Jude nicht gen Mizrah schauen, der Mauer, die Jerusalem repräsentiert? Würden die Orthodoxen etwa hinter der Ikonostase zelebrieren? Heute sind es nur die Katholiken, die aufgehört haben, auf den Herrn ausgerichtet zu beten.

Diese überzeugenden Feststellungen trafen auf enthusiastische Zustimmung im Saal, bleiben für manche aber ein wenig zu lästig. Tatsächlich hat sie der Osservatore Romano in seiner Ausgabe am 15. Mai 2011, wo von der Ansprache Kardinal Kochs die Rede war, nicht wiedergegeben. Aus dieser Rede präsentieren wir Ihnen in unserem Artikel von diesem Monat nunmehr längere Passagen.

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Die Reform der Liturgie kann keine Revolution sein. Sie muss ein Versuch sein, den wahren Sinn und die grundlegende Struktur der von der Tradition übermittelten Riten zu erfassen, indem sie klug bewertet, was bereits existiert, und sie muss sie auf organische Weise weiterentwickeln, im Hinblick auf die pastoralen Bedürfnisse einer lebendigen Liturgie.“ Mit diesen klärenden Worten hat der große Liturgiker Josef Andreas Jungmann den 23. Artikel der Konstitution über die Heilige Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils die Ideale kommentiert, die „als Kriterien für jede liturgische Reform dienen müssen“. Jungmann erklärte weiter: „Es sind die gleichen, die von allen befolgt wurden, die umsichtig eine liturgische Erneuerung wünschten“. Dem entgegengesetzt behauptete der Liturgiker Emil Lengeling, die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils habe das „Ende des Mittelalters in der Liturgie“ signalisiert und eine kopernikanische Wende im Verständnis der liturgischen Praxis eingeleitet.

Hier stehen sich also zwei entgegengesetzte Interpretationen gegenüber, die den kritischen Punkt der Kontroverse repräsentieren, die sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Bereich der Liturgie entwickelt hat: Die nachkonziliare Liturgiereform muss, wörtlich genommen, als „Re-form“ im Sinne eines Wiederentdeckens der ursprünglichen Formen verstanden werden und damit auch als letzter Schritt einer organischen Entwicklung der Liturgie. Oder aber die Reform muss als Bruch innerhalb der Tradition der katholischen Liturgie ausgelegt werden und wahrlich als der offensichtlichste Bruch, den das Konzil zur Folge hatte, oder vielleicht sogar als Schaffen einer neuen Form?

Die Tatsache, dass die Konzilsväter die Reform nur im Sinne der ersten Feststellung verstanden haben, zeigt vor allem zutiefst die Forschung Alcuin Reids. Trotzdem wird in weiten Kreisen der katholischen Kirche immer noch die zweite Beurteilung propagiert, die in die liturgische Reform einen radikalen Bruch mit der Tradition hineininterpretiert und diesen sogar fördern will.

Sicherlich kann das Motu Proprio selbst nur zu Fortschritten in der Ökumene beitragen, wenn die beiden Formen des einzigen römischen Ritus, die in ihm erwähnt werden, der ordentlichen aus dem Jahr 1970 und der außerordentlichen aus dem Jahr 1962, nicht als eine Antithese zueinander, sondern als gegenseitige Bereicherung gesehen werden. Deshalb kreist das ökumenische Problem um diese zentrale hermeneutische Frage.

Ein erster Dualismus behauptet, dass vor dem Konzil die Messe vor allem als Opfer verstanden worden und sie nach dem Konzil als Gemeinschaftsmahl wiederentdeckt worden sei. In der Vergangenheit hat man natürlich von Eucharistie auch als „Messopfer“ gesprochen. Heute aber ist dieser Aspekt nicht nur weniger bekannt, sondern wurde fast vollständig vergessen. Keine Dimension des eucharistischen Geheimnisses geriet so sehr in totale Vergessenheit wie das Opfer Jesus Christi als Opfer der Kirche und als wesentlicher Glaubensinhalt. Diesem Dualismus hält der Katechismus der Katholischen Kirche die untrennbare Einheit entgegen: „Die Messe ist gleichzeitig die Gegenwärtigsetzung des Opfers Christi, in dem das Kreuzesopfer fortbesteht, und das heilige Mahl der Kommunion des Leibes und Blutes des Herrn.“

Ein weiterer Dualismus, durch den sich die Polarisierung in vor- und nachkonziliare Liturgie hält, besagt, dass vor dem Konzil nur der Priester handelndes Subjekt der Liturgie war, während nach dem Konzil der Gemeinschaft einen Ehrenplatz als handelndes Subjekt der liturgischen Feier zugestanden wurde. Sicherlich steht nicht zur Diskussion, dass im Laufe der Geschichte die ursprüngliche Rolle aller Gläubigen als Mit-Wirkende der Liturgie mit der Zeit in den Hintergrund getreten ist, das göttliche Offizium der Urkirche dagegen bei der Liturgie die ganze Gemeinschaft als mitwirkend ansah, es später aber so schien, als sei sie zu einer privaten Feier des Klerus geworden. Das Bestehen einer inneren Kontinuität zwischen der alten Liturgie und in der liturgischen Reform, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausging, verdeutlicht die weitere und tiefere Sichtweise der liturgischen Konstitution, nach der der integrale öffentliche Kult von „dem mystischen Leib Jesu Christi, d.h. vom Haupt bis zu seinen Gliedmaßen“ ausgeübt wird und jede liturgische Zelebration als ein „Werk Christi, des Priesters und seines Leibes, der Kirche“ verstanden werden muss. Der Katechismus fügt hinzu: „Einige Gläubige werden durch das Sakrament der heiligen Ordination ausgewählt, um Christus als Haupt der Kirche zu verkörpern“.

Im Licht des christologischen Primates sollte es offensichtlich sein, dass die christliche Liturgie ihren tiefsten Sinn in der Verherrlichung und Anbetung des Dreieinigen Gottes findet, folglich in der Heiligung der Menschen. Auch diese grundlegende Dimension der Liturgie wurde Opfer eines weiteren Dualismus in der nachkonziliaren Phase, oder besser gesagt, wurde immer mehr vom Begriff der Teilnahme eingenommen. Hier handelt es sich um eine falsche Gegenüberstellung. Wir können und müssen die eucharistische Speise auch mit den Augen verzehren und so in das eucharistische Geheimnis eintreten, damit es sich uns im Verzehren des Leibes des Herrn und im Trinken seines Blutes ganz offenbart. Schon der hl. Augustinus liebte es hervorzuheben, dass keiner „von diesem Fleisch essen dürfe“, der es nicht vorher angebetet habe: „Nemo autem illam carnem manucat, nisi prius adoravit“.

Zwischen der alten Liturgie und der reformierten nachkonziliaren Liturgie gibt es keinen radikalen Bruch, sondern eine tiefe Kontinuität. Nur im Lichte dieser Überzeugung kann man das Motu Proprio Summorum Pontificum von Papst Benedikt XVI. verstehen. Der Heilige Vater liest die Geschichte der Liturgie nicht als eine Reihe von Aneinanderstückelungen, sondern als einen einzigen organischen Wachstumsprozess der Reife und der Selbst-Reinigung, in denen natürlich Entwicklungen und Fortschritte verzeichnet werden, ohne aber ihre Kontinuität und ihre Identität zu zerstören. Für den Papst kann es deswegen keine Gegenüberstellung zwischen der Liturgie von 1962 und der reformierten nachkonziliaren Liturgie geben. Im Kontrast zu dieser klaren Sicht einer organischen Entwicklung wird die nachkonziliare Liturgieentwicklung in weiten Kreisen der katholischen Kirche als ein Bruch mit der Tradition und als eine Neuschöpfung betrachtet; dies hat eine Kontroverse in der Liturgie erzeugt, die emotional geladen heute noch zu spüren ist. Mit dem Motu Proprio Summorum Pontificum wollte Papst Benedikt XVI. zu einer Lösung dieser Diskussionen und zu einer inneren Versöhnung der Kirche beitragen. Das Motu Proprio fördert, wenn man es so sagen kann, eine „inner-katholische Ökumene“. Diese setzt allerdings voraus, dass die alte Liturgie auch als „ökumenische Brücke“ verstanden wird. Wenn in der Tat der inner-katholische Ökumenismus versagt, wird sich die katholische Kontroverse über die Liturgie auch auf den Ökumenismus ausweiten und die alte Liturgie wird ihre Funktion als Brückenbauerin der Ökumene nicht wahrnehmen können.

Auch wenn das Motu Proprio einen innerkirchlichen Frieden fördern will, wäre es nicht gerecht, es nur als Zugeständnis an diejenigen Katholiken zu verstehen, die die alte Liturgie feiern, wie die Priesterbruderschaft St. Petrus oder die Nachfolger von Erzbischofes Lefebvre. Papst Benedikt XVI. ist davon überzeugt, dass vor allem die außerordentliche Form des römischen Ritus ein wertvoller Schatz ist, der nicht nur mit der Vergangenheit in Verbindung gebracht werden darf, sondern sich in der Gegenwart und Zukunft entfaltet, wie er es in dem Brief ausdrückte, der mit dem Motu Proprio einherging: „Das, was die alten Generationen als heilig empfunden haben, dass bleibt auch für uns heilig und groß und kann nicht einfach urplötzlich verboten werden oder sogar als schädlich gelten. Allen tut es gut, die Reichtümer zu bewahren, die im Glauben und im Gebet der Kirche gewachsen sind und ihnen den rechtmäßigen Platz einzuräumen.


Kurt Kardinal Koch
15. Mai 2011
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