Brief 64 veröffentlicht am 17 Januar 2016

Possumus et non possumus, Glück und Opfer

Wir liefern Ihnen heute exklusiv die Niederschrift der Predigt von Msgr. Luigi Negri, Erzbischof von Ferrara-Comacchio und Abt von Pomposa, die im Petersdom während des pontifikalen Hochamtes von Msgr. Juan Rodolfo Laise OFMCap zelebriert wurde, zum Anlass der 4. Internationlen Pilgerfahrt des Volkes Summorum Pontifikum nach Rom, am 24. September 2015.

In dieser Predigt, die ohne Vorlage und mit einfacher aber mächtiger Eloquenz gehalten wurde, hat Msgr. Negri die zweifache Haltung der Kirche in ihrer evangelisierenden Mission der menschlichen Zivilisation hervorgehoben, das sie zum einen dasjenige, was sie erhält annehmen und „christifizieren“, gleichzeitig aber entschieden Weltlichkeit abweisen muss, besonders die Moderne, wenn sie sich gegen die Lehren Christi stellt. Am Ende seiner Predigt hat er den Gläubigen einen feierlichen Rat gegen die alte Versuchung des Liberalismus ans Herz gelegt, der die Gläubigen zu Feinden werden lässt: die Unterwerfung unter den herrschenden Zeitgeist.

Wir erinnern daran dass diese Predigt voll Eifer am Tag der Schließung der Bischofssynode vorgetragen wurde, zur gleichen Zeit, als wenige hundert Meter entfernt die Synodenväter in einem Klima stärkster Spannungen über das Abschlussdokument zur Familie abstimmten. Zwischen den Synodenvätern befand sich auch Kardinal Cafarra, den Msgr. Negri vertreten hat, um dem Volk Summorum Pontificum das Wort Gottes zu verkünden.





Predigt Msgr. Luigi Negris bei der IV. Pilgerfahrt Populus Summorum Pontificum
(Petersdom, 24. Oktober 2015)


Gelobt sei Jesus Christus
In Ewigkeit, Amen.

Das Wort der Lesung der heutigen Liturgie erinnert an die große Erwartung des Heils der ganzen Menschheit, die Erwartung der Armen, der Demütigen und der Verzweifelten. Diese Erwartung zieht ihre Kreise im Wasser, wenn etwas hineingeworfen wird, denn jemand kann in das Wasser eintreten und auf solche Weise an der Neuheit des Lebens teilnehmen, das mit dem Messias aus Israel identifiziert wird.

Da haben wir es! Die Erwartung wurde erfüllt! Die Zeit ist Wartens ist vorüber, denn das kommen Christi hat die Himmel zerissen und ist in die Geschichte eingedrungen – in die Ganzheit der Geschichte – mit seiner Größe und Armut, mit all seinen Grenzen und seinen Versuchungen, aber auch mit all seinen großen Werken des Menschen, seiner Fähigkeit sich von Generation zu Generation dem Problem des Schicksals seines Lebens anzunehmen, das Ziel, zu dem er berufen ist, wiederzuentdecken und das Reich Gottes herzustellen, das inmitten von uns bereits besteht.

Christus ist das neue Leben in unserer Mitte: das Leben das vollkommen in ihm verwirklicht wird, das Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt, ein Geheimnis, das jedem in der Tiefe seines Glaubens und im Maß seiner Liebe geschenkt wurde.

Es ist das neue Leben, denn die Erlösung ist einzigartig. Es ist die Ausdehnung der Intelligenz und des Herzens, das sich in eine neue Sensibilität zu sich selbst ausdrückt, zu anderen und zur ganzen Wirklichkeit. Diese neue Menschheit befindet sich bereits in uns als Gnade, als Geschenk des Glaubens. Wie die Wahrheit auch, können wir diese nicht verdienen, sondern sie wird uns geschenkt, als Antwort auf die tiefe Sehnsucht die unsere Existenz antreibt.

Im Angesicht dienser Gnade können wir nicht bewegungslos bleiben und uns einem Fatalismus hingeben, der nicht christlich ist. Wir müssen unsere Verpflichtungen annehmen, denn die Gnade, Prinzip des neuen Lebens in uns, Quelle des neuen Lebens kann sich in unsere Menschheit kleiden und sich verwirklichen, aber vor allem kann es Prinzip der Mission werden, Prinzip der Kommunikation. Der Glaube ist ein Geschenk, das weiterverschenkt werden will.

In redemptoris Missio erklärte der hl. Johannes Paul II., dass der Glauben das Schenken bekräftigt. Dankbarkeit für die Gnade, die uns gegeben wurde, wird in der Tiefe unseres Bewußtseins und in unserem täglichen Leben zum Verständnis dafür, dass wir unseren eigenen Beitrag an der großen Mission Christi und seine Kirche leisten. Eine Aufgabe, an der wir mit all unserer Kraft mitarbeiten müssen, auch im ganz alltäglichen Bereich und trotz Hindernissen, sie sich uns in den Weg stellen, an dem Ort, an dem wir arbeiten und leben.

Es ist die eine großartige Berufung des christlichen Volkes: das neue Leben in Christus jedem Menschen kommunizieren, damit jeder Mensch, mit Gnade ausgestattet, andere Menschen die gleiche Erfahrung weitergeben kann und ihnen die Neuheit nahebringt. Die christliche Verantwortung ist die Mission und dies ist eine großartige Sache, die Herausforderung der Kirche in ihrer 2000 jährigen Geschichte, in der sie zwar manchmal müde und von vielen Unvollkommenheiten gezeichnet war, aber doch in ihrer ganzen Herrlichkeit hervorscheint.

Die Kirche ist die unausschöpfliche Anwesenheit des Lebens Christi, sie bietet sein Leben allen an, die sich nach ihm sehnen. Uns als lebendigen Zeugen ist aufgegeben, Christus anzusehen, vielleicht zum ersten Mal, in der Situation, in der wir leben.

Diese Mission verwirklicht seine Identität und seine ehrliche Moralität in zwei großen Worten der Kirchengeschichte. Das erste Wort ist „possumus“ – wir können – und dieses Wort, diese Haltung der Kirche, hat Generation zu Generation gezeichnet: der Glaube ist der Vernunft begegnet: die christliche Freiheit ist auf das menschliche Gesetz getroffen. Der katholische Glaube wurde in die Momente des Lebens und in Völker und Nationen inkulturiert, auf solche Weise, dass er mehr als einmal einen wesentlichen Beitrag in den Kultur- und Zivilisationsformen leisten konnte.

Im „possumus“ der Kirche ist sie der Welt begegnet. Die Menschheit auf der Suche hat die Kirche gefunden, die Pforte des sich offenbarenden Gottes. Die menschliche, persönliche und soziale Existenz dieser großen Geschichte der Kultur und der Zivilisation ist die Verwirklichung der großen katholischen Kultur, die noch nicht vorüber ist und die zu uns durch verschiedenen kulturelle Ausdrucksformen spricht. Die Mission, die dieses „possumus“ darstellt, ist die Fähigkeit, einen bedeutenden Beitrag zum Wachstum der Person und der Gesellschaft zu leisten.

Aber die Kirche konnte auch auf unerbittliche Weise auch ein anderes Wort vertreten, nämlich „non possumus“. Zu vielerlei Anlässen musste die Kirche dieses Wort sagen, um zu verhindern dass ihre Präsenz im sozialen Leben geschmälert wird, die Gesetzte Gottes oder der Kirche keine Beachtung mehr finden und daher unabwendbar einen Abfall der Gesellschaft herbeiführen. Wir können nicht. Es gibt keinen Moment in der Kirchengeschichte, der dramatischer war – besonders nicht im europäischen Westen – in dem die Kirche nicht die Verantwortung angenommen hat, die Legitimität einiger Ideologien und kultureller, sozialer und politischer Einstellungen zu verneinen, selbst wenn sie es im Alleingang tun musste.

In ihrem „non possumus“ ist die Kirche nicht dem Dialog mit den Menschen verschlossen, sondern negiert, dass einige Ideologien eine lebenswichtige Bedeutung für sein Leben haben. Die Verneinung dessen, was der Kirche widerspricht, was den Menschen und das Geheimnis des Lebens und das Geheimnis der Liebe widerspricht. Die Sakralität der Mutterschaft und Vaterschaft werden oft niedergemacht und eingerissen und durch absolut unakzeptable formen der persönlichen, familiaren oder sozialen Überzeugung ersetzt.

Die Kirche kann niemals nur „possumus“ sagen, wie sie gleichermaßen nicht nur „non possumus“ sagen kann. Sie hat eine missionarische Aufgabe, sie macht die Begegnung von Christus und dem Menschen möglich, sie versteht es sich zu öffnen und zu verschließen, Ideen und Moral anzunehmen und alles das abzuweisen, was gegen das Gesetz Gottes geht. Gegen das Gesetz Gottes verstoßen heißt, das menschliche Leben zu entmenschlichen und die Gesellschaft zu zerstören, eine schreckliche Erfahrung der Gesellschaft, in der die Kirche heute lebt.

Schande über uns, Brüder, denn wir haben das Binom „possumus – non possumus“ vertauscht, ein „possumus“, das die Menschheit der dominaten Meinung ausliefert, die sich als Ziel dasjenige setzt, das die Welt in ihrem diabolischen Aspekt vorlebt: die Tilgung Christi und seiner Kirche. Wir können nicht mehr dulden, dass so viele Ereignisse, Initiativen oder Versuchungen in dieser vielseitigen katholischen Welt von einem Genußwillen und einem Zeitgeist beseelt werden, dem wir uns unterordnen sollen.

Wir wollen das Antlitz Christi sehen. Dieses Antlitz leuchtet in der Schönheit der Liturgie auf, wie es der Heilige Vater in seiner Botschaft erklärte, und führt uns zur definitiven Herrlichkeit seines Antlitzes. Ein Antlitz, das gleichermaßen der Auferstandene und der Richter ist. Wir können nur jeden Tag die Augen unseres Vestandes und unseres Herzens auf das geliebte Antlitz des Herrn richten. Denn aus ihm wird eine neue Intelligenz geboren, in uns und in der Welt. Ein Herz, das jeden Menschen zur Liebe bewegt, das in dieser Welt als Geheimnis Christi wirkt uns sich uns offenbart. ES lässt uns die Nützlichkeit unserer Zeit und unseres Lebens spüren, als Bestätigung Christi und nicht als Bestätigung unserer Macht. Das wollen wir.

Vertrauen wir die Heilige Kirche Gottes der Jungfrau an, denn die Freude, die aus dem Glauben entspringt, lässt uns auch das Gewicht des Opfers unseres täglichen Lebens tragen: das Leben der ganzen Kirche, wie auch das Leben eines jeden Einzelnen. So wird es zu einem Binom, das der weltlichen Mentalität gänzlich fremd ist: Glück und Opfer.

So sei es.