Brief 45 veröffentlicht am 11 April 2014

NICHT NUR IN LATEINISCHER SPRACHE

Am Samstag, dem 29. März veranstaltete die Nationale Koordination für „Summorum Pontificum“ (CNSP) in Verona eine Konferenz mit Roberto Spataro, Professor für altchristliche Literatur an der Päpstlichen Universität Salesianum, mit dem Titel: „Die Wiederentdeckung der traditionellen Liturgie nach „Summorum Pontificum“. Warum es sich lohnt, die Tridentinische Messe zu kennen und zu lieben“.

Dieses Ereignis erscheint von Interesse, zumal der 48-jährige P. Spataro stellvertretend für all jene Priester steht, in deren Leben das „Motu Proptio Summorum Pontificum“ vom 7. Juli 2007 sichtbare Spuren hinterlassen hat. Am Tag nach der Konferenz, dem Laetare-Sonntag, zelebrierte er in der Kirche „Santa Toscana“ eine öffentliche hl. Messe in der außerordentlichen Form des römischen Ritus.


I – Begegnung mit Don Spataro

(Abgesehen von den der italienischen Ausgabe exklusive vorliegenden Antworten auf die letzten beiden Fragen wurde das im Folgenden veröffentlichte Interview im Januar 2013 von Ilaria Pisa für die Webseite „Campari e de Maistre“ geführt)

1) Das Lateinstudium für Geistliche scheint in den vergangenen 50 Jahren auch im Rahmen der Priesterausbildung an Bedeutung und Interesse verloren zu haben: Worauf ist dies Ihrer Meinung nach zurückzuführen? Ist dieser Umstand das Resultat einer umfassenden Entscheidung?

Don Spataro: Meines Erachtens ist das mangelnde Interesse am Lateinstudium innerhalb der Kirche weniger das Resultat einer umfassenden und gezielten Entscheidung. Vielmehr handelt es sich um das Produkt einer kulturellen Atmosphäre, die bei einer Missachtung der Tradition arglos den „res novae“ nachjagen. Ferner wurde von dieser Gleichgültigkeit gegenüber den „studia humanitatis“ erfasst, die sich üblicherweise in der Zivilgesellschaft und im Bereich der Bildung ausgebreitet hatte, verhängnisvollerweise auch das Innere der Kirche erfasst.

2) Spiegelt die - auch in der Liturgie sichtbare - fast vollständige Vernachlässigung der lateinischen Sprache infolge der Reform des Römischen Missales durch den ehrwürdigen Papst Paul VI. tatsächlich die in der Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ zum Ausdruck gebrachten Wünsche der Konzilsväter wider?

Don Spataro: Das Missale Romanum von Paul VI. wurde in lateinischer Sprache verfasst. Vor allem sei jedoch daran erinnert, dass die Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“ zwar die Verwendung der lateinischen Sprache in der Liturgie vorschrieb, jedoch eine vernünftige und nützliche Einbindung der Landessprache in einigen Messteilen vorsah. Viele betrachten die aus dem Konzil hervorgegangene liturgische Reform als offensichtlichen Verstoß gegen das besagte Konzil.

3) Denken Sie nicht, dass das heute in Gestalt der lateinischen Sprache auftretende „linguistische Hindernis“ den Gläubigen den Ansporn dazu liefern kann, in die sich vom Alltag radikal abhebende liturgische Dimension einzutreten?

Don Spataro: In der Tat. Eine nahezu universelle Gegebenheit der Religionsphänomenologie die Verwendung einer„Sakralsprache“, die sich von jener des täglichen Lebens unterscheidet. Aufgrund ihrer besonderen Merkmale eignet sich die lateinische Sprache für die Kommunikation über die „res sacrae“.

4) Ging bzw. geht von der Abkehr von der lateinischen Sprache auch eine Gefahr für die Einheit und des Zusammenhalts innerhalb der katholischen Kirche aus? Reichen die Folgen somit über den kulturellen Bereich hinaus - gemäß der Auffassung, dass die Einheit der Sprache konstitutiv für die Einheit im Glauben sei?

Don Spataro: Davon bin ich überzeugt. Anlässlich der Promulgierung der apostolischen Konstitution „Veterum Sapientia“ über den Wert des Lateins betonte Papst Johannes XXIII. mit Nachdruck die Notwendigkeit einer übernationalen Sprache für eine internationale Institution wie die katholische Kirche. Mit Latein, einer unsterblichen Sprache ohne Zuordnung zu einem bestimmten Volk, wird diesem Bedürfnis in idealer Weise nachgekommen. Mit dem Verlust der aktiven Verwendung der lateinischen Sprache wurde die Kommunikation zwischen den Bischöfen und dem Heiligen Stuhl erschwert. Darüber hinaus ermöglicht die Kenntnis der lateinischen Sprache vor allem Priestern den Eintritt in eine Art „diakronische“ Einheit mit den Dokumenten des Glaubens vergangener Jahrhunderte. Diese oft von Heiligen, bedeutenden Kirchenlehrern, stammenden Werke sind Darstellungen des katholischen Glaubens und Ausdruck des authentischen „sensus fidelium“. Ohne Latein besteht die Gefahr einer schwachen, von der Tradition losgelösten und örtlich sektionierten Ekklesiologie.

5) Die großen Theologen der Kirchengeschichte verfassten ihre Werke auf Latein. Führte die Abkehr von der lateinischen Sprache in der Theologie zur Entstehung einer Kluft in Bezug auf das Verständnis der großen theologischen Tradition der Kirche, die Folgen auf der Ebene der Glaubenslehre zeitigt? Könnten sich aus der durch unzureichende Kategorien und schwache Kategorien und die Verwendung eines mehrdeutigen Wortschatzes gekennzeichneten Rede – auch schwerwiegende – Missverständnisse ergeben haben?

Don Spataro: Meines Erachtens erzieht die lateinische Sprache zur Vermeidung von Ausschweifungen. Der Fehler der Weitschweifigkeit wird aus meiner Sicht in nicht wenigen zeitgenössischen theologischen Veröffentlichungen begangen. Des Weiteren erzieht die lateinische Sprache zur Genauigkeit bei der Kommunikation der Gedanken. Aufgrund dieser Eigenschaften - der Nüchternheit und der Präzision – beugt sie einem Konflikt der Textinterpretationen vor.

6) Am 30. März zelebrierten Sie in Verona die „Laetare“-Messe in der außerordentlichen Form des römischen Ritus. Dabei handelt es sich um die traditionelle Messe, die viele Menschen heute noch als „lateinische Messe“ bezeichnen. Können Sie uns von Ihrer Entdeckung dieser Messe berichten? Was bewog Sie zur Feier der hl. Messe nach dem Missale des Seligen Johannes XXIII.?

Don Spataro: Seit meiner Jugend (ich bin 48 Jahre alt) übt die Priesterbruderschaft St. Pius X. eine große Faszination auf mich aus. Die Liebe dieser Gemeinschaft zu der alten Messe berührte mich. Nach „Summorum Pontificum“ tauchte ich tiefer in den Gegenstand ein und erlangte ein Verständnis der doktrinären Tiefe dieses Ritus. Während meines Aufenthaltes in Jerusalem im Jahre 2010 erhielt ich von einer weiblichen Ordensgemeinschaft die Einladung, die Tridentinische Messe zu zelebrieren. Mit großer Freude feiere ich die hl. Messe seither bei jeder Gelegenheit gemäß dem Messbuch von 1962, denn es ist ein wahrer Schatz der authentischen Theologie und tiefen Spiritualität. Es hilft mir dabei, mich zu verbessern und das habe ich dringend nötig! Darüber hinaus finden die Gläubigen darin solide geistliche Nahrung für ihr Wachstum im Gnadenleben. Besteht nicht darin die grundlegende pastorale Arbeit?

7) Welchen Rat können Sie als Lateinlehrer und „in utroque usu“ zelebrierender Priester jenen Priestern und Gläubigen geben, die sich von der Sakralität und der Zentralität des eucharistischen Geheimnisses der traditionellen Liturgie angezogen fühlen, aber ihre mangelnden Lateinkenntnisse als Hindernis erleben?

Don Spataro: Zunächst möchte ich hervorheben, dass die Verwendung der lateinischen Sprache ein wesentliches Element des tridentinischen Ritus darstellt. Wie zuvor erwähnt, wird durch die Betonung der Heiligkeit des liturgischen Aktes der Einsatz einer heiligen Sprache zur Geltung gebracht. In Bezug auf die Erteilung von Ratschlägen betrifft, möchte ich eine Unterscheidung treffen. Jenen Gläubigen, denen die Zeit für ein systematisches Studium der lateinischen Sprache fehlt, würde ich die bereits weit verbreitete Verwendung zweisprachiger Messbücher empfehlen. Nach kurzer Zeit werden sie die Sprache des Ordo Missae anhand des Vergleichs des lateinischen Textes mit dem in der Muttersprache sowie Erläuterungen im Rahmen der liturgischen Bildung würdigen können. Priestern hingegen möchte ich das Lateinstudium nahe legen. Dieses hilft nicht nur dabei, „digne et competenter“ zu zelebrieren, sondern ermöglicht auch den Kontakt mit der gesamten Tradition der auf Lateinisch verfassten Theologie und Spiritualität, die die erlesene Frucht der tridentinischen Messe hervorgebracht hat. Durch die Zustimmung der Ordinarien könnten sie für der Auffrischung ihrer Lateinkenntnisse mehr Zeit widmen: sechs Monate intensiven Studiums anhand einer geeigneten Methodik und mit kompetenten Lehrern würden bereits zu mehr als zufriedenstellenden Ergebnissen führen.


II – Kommentar von Paix Liturgique

1) Von einem Motu Proprio zum anderen: Gegen Ende des Jahres 2012 setzte Benedikt XVI. mit dem Motu Proprio „Latina Lingua“, das zur Einrichtung der Päpstlichen Akademie für Latein führte, einen der letzten Akte seines Pontifikates. Auch wenn sich die Arbeiten dieser Akademie heute noch in im Anfangsstadium befinden, ist Papst Benedikts Wahl von Don Spataro zum Sekretär dieser Institution bedeutungsvoll. Wie aus dem in dieser Woche veröffentlichten Interview hervorgeht, herrscht großes Einvernehmen zwischen P. Spataro und dem emeritierten Papst. Im Jahre 2012 erhielt er das Angebot zur Gestaltung einer lateinischen Rubrik im „L’Avvenire“, der Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz. Zur Einführung der neuen Rubrik veröffentlichte er einen Text zur Verteidigung der kreativen Minderheiten in Europa aus der Perspektive der Grundsätze der griechischen Philosophie, der katholischen Moral und des römischen Rechts. Es ist anzunehmen, dass dieses Schreiben mit dem Titel: „Quid opus est gentibus Europae? Paucis sed optimis hominibus” von Benedikt XVI. nicht unbeachtet blieb.

2) Das Interview mit Don Spataro berücksichtigt den Umstand, dass einige Priester ebenso wie zahlreiche Gläubige die lateinische Sprache gleichsam als „Hindernis“ betrachten. Eine Erörterung dieses Themas wurde bereits in einem Artikel für die Wochenzeitung der Franziskaner der Immaculata (beten wir für sie!) an folgender Stelle vorgenommen: „Eines der am häufigsten vorgebrachten Argumente gegen die Verbreitung der tridentinische Messe, d.h. der Messe auf Lateinisch, ist sowohl für einen Teil des Klerus als auch der Gläubigen die unzureichende Kenntnis der alten Sprachen. Mit der Einsicht, dass es sich bei der Liturgie um eine die Sprache transzendierende und auf die Existenz des Sakralen gestützte Ebene der Kommunikation handelt, kann dieser Kritik leicht begegnet werden. Die Liturgie ist daher ein Ort der Kommunikation des Übernatürlichen, der Begegnung mit dem leidenden Christus durch die Unbefleckte. Sie ist ein Moment der Gemeinschaft mit den Engeln und Heiligen, ein „Zusammentreffen“ mit dem Paradies. Wenn die Gläubigen für die Teilnahme an der tridentinische Messe somit keine Lateinexperten sein müssen, bedarf es nur der Bereitschaft der Seele, auf dem Weg zur Heiligkeit voranzuschreiten.“

3) P. Spataro nimmt oft Bezug auf den Umstand, dass viele Studenten …in China der lateinischen Sprache nach wie vor mit Interesse begegnen! Das gleiche gilt für die USA und Deutschland. Dennoch ist uns durchaus bewusst, dass der Lateinunterricht an Schulen in den romanischsprachigen Ländern (Italien, Spanien, und vor allem Frankreich) zunehmend zu einer Randerscheinung wird. Auch in jenen Teilen der Welt, in denen der Katholizismus eine Ausbreitung erfährt, bleibt der Zugang schwierig. Damit Latein seinen Stellenwert als die Sprache der Kirche de facto wiedererlangt, ist eine gute und ernsthafte Ausbildung an den Seminaren vonnöten. Das ist heute leider eine Wunschvorstellung …