Brief 44 veröffentlicht am 13 März 2014

Das Tridentinum in der Geschichte der Konzilien

Im Dezember 2013 feierte die katholische Kirche das 450. Jubiläum der Beendigung des Konzils von Trient. Was auch in der katholischen Welt weitgehend unbekannt blieb: Papst Franziskus hat einen Repräsentanten aus dem Vatikan zu diesem Ereignis entsandt, Walter Kardinal Brandmüller. Er war bis 2009 Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften und damit sozusagen „Chefhistoriker der Kurie“. Kardinal Brandmüller hat 40 Jahre lang intensiv die Konzilsgeschichte studiert. Er ist darüber hinaus ein ausgewiesener Förderer der von Benedikt XVI. angestoßenen „Reform der Reformen“ in der Liturgie und feiert Pontifikalämter in der außerordentlich Form des römischen Ritus bei verschiedensten Anlässen –am Kathedra-Altar im Petersdom zum Kongress der Summorum-Pontificum- Freunde ebenso wie bei der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier (Deutschland). Er zeigte sich gerührt darüber, „in Trient das 450. Jubiläum feiern zu dürfen“.

Wir freuen uns, unseren Lesern Kardinal Brandmüllers Ansprache präsentieren zu können, in der er das „Wunder von Trient“ darlegt.



***


DAS TRIDENTINUM IN DER GESCHICHTE DER KONZILIEN

Vortrag zum Kongreß "I tempi del Concilio", Trient,
Donnerstag, 27. Oktober 1994.


Wesenseigene Aufgabe der Kirche ist es, jeder Generation aufs neue Zugang zur Wahrheit und zum Heil in Christus zu eröffnen. Dies geschieht in erster Linie durch die Verkündigung des Evangeliums. Diesen ihren Auftrag hat die Kirche unter sich jeweils wandelnden sozio-kulturellen Bedingungen zu erfüllen.

In ganz besonderer Weise tut sie dies vermittels ihrer Konzilien, von denen sich darum jedes einer anderen, neuen historischen Situation gegenübersieht. Von dieser mitgeprägt und zugleich auf sie bezogen, erhält jedes Konzil sein unverwechselbares historisches Profil, seine historische Einmaligkeit. Unsere Aufgabe soll es nun sein, jene Züge nachzuzeichnen, die den besonderen Charakter jenes Konzils bestimmen, das vor 450 Jahren in dieser Stadt begonnen hat.


I

Den Hintergrund, vor dem das historische Profil des Tridentinums sich abzeichnet, bildet die Erfahrung, die die Kirche mit den vorausgegangenen Konzilien von Basel, Ferrara-Florenz und dem nur dreißig Jahre zurückliegenden 5. Laterankonzil gemacht hatte.

Auf allen diesen Konzilien war die episkopale und petrinisch-primatiale Struktur der Kirche in Frage gestanden, wenn sie nicht gar das eigentliche Thema war.

Schließlich war zu Florenz die erste eingehendere konziliare Definition des römischen Primats gelungen, und das 5. Lateranense hatte die konziliaristische Opposition gegen den Primat gesetzgeberisch wie politisch überwunden. Das Papsttum stand unter Julius II. und Leo X. als Sieger über den Konziliarismus da - ehe es im gleichen Jahr, da das Konzil schloß, durch den Protest des Mönches von Wittenberg in einer Weise und in einem Grade zur Petra scandali wurde, wie dies niemals, nicht einmal auf dem Höhepunkt der konziliaristischen Krise der Fall gewesen war.

In diesem zeitlichen wie sachlichen Zusammenhang erblickte auch der Kaiser, es war Karl V., in einem neuerlichen Konzil das Heilmittel, mit dem dem Massenabfall von der Kirche sowie deren Zerstörung durch Glaubensunsicherheit, religiös-sittliche Zerrüttung und Spaltung zu begegnen war. Luther selbst rief nach einem Konzil, einem Konzil freilich, das er "gemein, frei und christlich" nannte, und das in "deutschen Landen" abzuhalten sei. Damit meinte er, daß dieses Konzil frei von päpstlichem Einfluß sein, Laien, insbesondere die Fürsten stimmberechtigte Mitglieder sein und die Bibel allein als Entscheidungsgrundlage haben solle.

Mit dieser im Sinne Luthers gewiß konsequenten Forderung, war die einstige Idee von der konziliaren Superiorität über den Papst um vieles übertroffen. Ein solches Konzil war allerdings nach dem Glauben der Kirche völlig unannehmbar. Dieser Herausforderung mußte das bevorstehende Konzil begegnen, von ihr wurde auch seine Physiognomie mitgeprägt. Es stellte sich nicht theoretisch, wohl aber praktisch die Frage des rechten Zusammenspiels zwischen Papst, Konzil und Kaiser.

Man sagt immer wieder, es sei die Furcht Roms vor einem Wiederaufleben des Konziliarismus gewesen, die Clemens VII. und seine Nachfolger gehindert habe, der Konzilsforderung Karls V. anders denn höchst zögerlich und am Ende eher gezwungen, zu entsprechen.

Dies mag für Clemens VII. zutreffen. Indes muß historische Ehrlichkeit einräumen, daß es dann unter Paul III. die politischen Umstände waren, insbesondere der französisch-habsburgische Konflikt, die die Konzilsberufung mehrmals scheitern ließen. Erst der Friedensschluß Karls V. mit Franz I. von Frankreich zu Crépy 1544 öffnete die Wege, die schließlich nach Trient führten.

Hatte Karl V. bislang die Sache des Konzils mit Nachdruck betrieben, so erwies er sich seit der Verlegung der Kirchenversammlung nach Bologna als deren großes Hindernis.

Nun verliefen die Fronten nicht mehr zwischen Papst und Konzil, sondern zwischen Papst, Konzilsmehrheit und Karl V., wobei Papst und Konzilsmehrheit - die in Trient verbliebene Minderheit hielt es mit Karl, - sich pikanterweise ausgesprochen konziliaristischer Argumente bediente, wenn man die Freiheit des Konzils, seinen Versammlungsort selbst zu bestimmen, kaiserlichen Forderungen einer Rückkehr nach Trient entgegenhielt.

Mit dem Blick auf den Antagonismus zwischen Papst und Konzil im vorausgegangenen Jahrhundert zeigt dies, wie souverän ein Papst sich mittlerweile des ehemaligen Schreckgespenstes "Konziliarismus" bedienen konnte, ohne dessen Wiedergeburt fürchten zu müssen.

Das 5. Lateranense hatte ihm in der Gestalt des Pisaner Conciliabulums endgültig den Garaus gemacht. So verliefen denn auch die Verhandlungen die schließlich zur Rückkehr des Konzils nach Trient führen sollten, zwischen dem Papst und dem Kaiser, der genau wußte, wo die Entscheidungen wirklich getroffen würden, nämlich in Rom.

Das Verhältnis von Papst und Konzil findet üblicherweise seinen offiziellen konziliaren Ausdruck in der Intitulation der Konzilsdekrete. In ihr wird gesagt, in wessen Namen und Autorität die Dekrete erlassen werden.

Vergleichen wir deshalb die Intitulation der Tridentiner Dekrete mit jener der vorausgegangenen Konzilien. Dabei scheiden das 5. Lateranense und das Florentinum deshalb aus, weil beide unter dem persönlichen Vorsitz des Papstes tagten und deshalb ihre Dekrete als päpstliche Bullen publiziert wurden: "Leo episcopus servus servorum Dei sacro approbante Concilio".

Tagte hingegen das Konzil in Abwesenheit des Papstes, so wurden die Dekrete im Namen des Konzils erlassen - wobei die Nennung des Papstes oder deren Unterlassung höchst bedeutsam war.

So etwa hatte das Konzil, das 1423/24 erst in Pavia und dann zu Siena versammelt war, die in Pavia verabschiedeten Dekrete so intituliert: "Sacrosancta synodus generalis Papiensis in spiritu sancto legitime congregata universalem ecclesiam repraesentans."

Damit hatte sich das Konzil in die Tradition des Constantiense vor der Wahl Martins V. gestellt und damit einen eindeutigen konziliaristischen Autonomieanspruch erhoben.

Die Dekrete, die dann in der Sieneser Periode publiziert wurden, fügten allerdings den Passus hinzu: "... praesidentibus in ea ... nunciis sanctissimi in Christo Patris ac domini domini Martini V. unici et indubitati summi pontificis specialiter deputatis".

In diesem Wandel wird die Überwindung des Konstanzer Konziliarismus sichtbar, die sich dann auch praktisch, politisch zeigte, als Martin V. die Auflösung des ihm zu entgleiten drohenden Konzils durchsetzte.

Das Konzil von Trient übernahm diese Formel, freilich ohne die längst nicht mehr nötige Betonung der Legitimität des regierenden Papstes.

Man übernahm also diese Formel von jenem Konzil von Pavia-Siena, das - übrigens nach Giuseppe Alberigo - aus Mangel an Teilnehmern nicht stattgefunden hat!


II

Daraus wird aber noch ein anderes Moment deutlich: Das Tridentinum reiht sich ein in den Strom der konziliaren Tradition. Kein Konzil, auch nicht das 2. Vaticanum, kann ebenso formal, hinsichtlich seiner Prozedur, wie was den Inhalt seiner Entscheidungen betrifft, einen völligen Neubeginn, einen Start vom Punkte 0 darstellen.

Es genügt, von dem genannten Beispiel der Intitulationen einmal abgesehen, zu prüfen, welche Quellen von den Dekreten zitiert werden. Aus dieser Untersuchung ergibt sich nicht nur, in welchem Maße die früheren Konzilien nachgewirkt haben, es zeigt sich dabei auch die Ernsthaftigkeit des Bemühens der Väter von Trient, die eigenen Aussagen auf die authentische Tradition der Kirche zu gründen.

Es sind die Allgemeinen Konzilien von Nicaea (I u. II) und Chalkedon - aus der Antike, die Laterankonzilien mit Ausnahme des ersten, Lyon II, Vienne und Florenz, die genannt werden. In der Häufigkeit, mit der seine Texte herangezogen werden, übertrifft jedoch das 4. Lateranense Innozenz’ III. alle übrigen. Die Väter des Tridentinums stützten sich in erstaunlichem Maße auf die Reformbestimmungen eines Konzils, das 350 Jahre zurücklag, und initiierten damit eine Reformbewegung, die in der Kirchengeschichte ihresgleichen sucht. Bezeichnend auch der Begriff von Reform, der aus einem solchen Vorgehen sichtbar wird.

Daß im Zusammenhang mit der Fegfeuerlehre das Florentinum zitiert wird, und bezüglich des biblischen Kanons die Bulla unionis pro Coptis, kann nicht überraschen. Ebenso selbstverständlich, daß man für die Sakramentenlehre auf das Decretum pro Armenis rekurriert.

Erstaunlich ist es jedoch, daß selbst das so umstrittene Konzil von Konstanz zu Wort kommt, und damit höchste Bestätigung seiner Legitimität durch das Tridentinum erfährt. Es ist die Verurteilung der Kommunion sub utraque, und die Zurückweisung des Wiclifschen Irrtums, der die Wirksamkeit der Sakramente von der Würdigkeit des Spenders abhängig machen wollte, wofür man sich auf Konstanzer Dekrete berief. Besonders hervorzuheben ist dabei der Umstand, daß beide zitierten Dekrete einer Phase des Konstanzer Konzils entstammten, die vor der formellen Neuberufung des Konzils durch Gregor XII. und erstrecht vor der Wahl Martins V. lag.

Auf diese Weise haben die Trienter Väter stillschweigend eine Aussage von großem konziliengeschichtlichen Gewicht gemacht. Natürlich wurden auch mehrere partikulare Konzilien -, etwa Toledo III u. XI, Orange, Carthago II u. IV, Braga II zitiert. Nicht aber fand Basel Eingang in die Texte von Trient.

All diese Beobachtungen zeigen, wie sehr den Vätern die gesamte konziliare Tradition der Kirche präsent war, als sie daran gingen, dem dramatischen kirchlichen Zerfallsprozeß ihrer Gegenwart entgegenzutreten.

In einem ganz zentralen Punkt seiner Arbeit sah das Konzil sich jedoch nicht in der Lage, eines der Vorgängerkonzilien zu zitieren. Einmal nur - und nur am Rande - wird das 2. Konzil von Orange erwähnt. Es ist das Herzstück von Trient, das Decretum de iustificatione. Wohl war es die Neuheit des gestellten Problems, die es mit sich brachte, daß kein Konzil bisher darüber entschieden hatte. So sahen sich die Väter auf die Primärquelle aller Glaubenserkenntnis, auf die Hl. Schrift verwiesen.

Neben dem ausgiebig herangezogenen Neuen Testament sind es nur - und zwar häufig Augustinus, einmal auch Hieronymus und Tertullian die zu Wort kommen.

Trient hat hier konziliares Neuland betreten und ein Lehrdekret hervorgebracht, von dem Adolf von Harnack gesagt hat, es hätte die Reformation Luthers überflüssig gemacht, wäre es schon vom 5. Laterankonzil geschaffen worden.


III

An dieser Stelle ist denn auch die theologische Qualität der Trienter Lehrdekrete im Vergleich mit früheren Konzilien zu würdigen. Konnten sich noch das 4. Lateranense und das Konzil von Vienne ganz unbefangen der scholastischen Terminologie bedienen, so hatte schon das Unionskonzil von Ferrara-Florenz in Argumentationsweise und Diktion auf die byzantinischen Gesprächspartner Rücksicht zu nehmen. Solche Rücksicht war es, die eine vermehrte Heranziehung der griechischen wie der lateinischen Väter notwendig gemacht hatte. Nun galt es in Trient, stets den Blick auf die reformatorischen Lehren zu richten, deren Vordringen das Konzil überhaupt erfordert hatte. So stützten sich die Väter in ganz besonderem Maße auf die Hl. Schrift, die ja die Protestanten als alleinige Glaubensquelle betrachteten. Dies gilt insbesondere für die Lehrdekrete. Selbstverständlich kam - vor allem in Gestalt der Konzilien - auch die authentische Überlieferung zu Wort.

Darüberhinaus aber gelang es dem Konzil, eine Sprache zu finden, der bei hoher begrifflicher Präzision ein Klang eignete, der auch das fromme Empfinden der Leser zu berühren vermochte, und erkennen ließ, daß es den Vätern um das Seelenheil der Gläubigen ging.

Nicht zuletzt war es die zu hoher Blüte entfaltete humanistische Gelehrsamkeit zahlreicher Väter und Theologen gewesen, die durch die vermehrte Erschließung der patristischen Literatur eine solche Redeweise ermöglichte.

Auch das Zustandekommen der Dekrete selbst vollzog sich zu Trient in einer Weise, die weder Antike noch Mittelalter gekannt hatten. Man kann heute mit großer Sicherheit sagen, daß gerade die großen Konzilien des Altertums keineswegs Versammlungen waren, aus deren Mitte in gemeinsamem Bemühen, Rede und Gegenrede, die endgültigen Texte entstanden wären. In aller Regel war es Sache des Konzils, vorbereitete Texte durch Akklamation zu bestätigen und zu promulgieren. Diskutiert, kontrovers diskutiert wurde, wenn das Konzil als Gerichtshof Streitsachen zu entscheiden hatte.

In ähnlicher Weise verfuhren die Konzilien des Hoch- und Spätmittelalters, bis zu Konstanz, Pavia-Siena und Basel die weniger theologische als kirchenpolitische Materie ein anderes Vorgehen verlangte.

Ähnliches gilt von Ferrara-Florenz, wo der griechisch-lateinische Dialog zu führen war.
In Trient hingegen, entstanden die Dekrete - sieht man von Morones Parforceritt in der Schlußphase des Konzils einmal ab - aus dem gemeinsamen Ringen der Väter um die rechte Aussage.

Besonders neu war hierbei der Modus procedendi, der vorsah, daß die jeweilige Materie erst in den Theologenkongregationen behandelt wurde. Dies geschah durch Vorträge der nicht stimmberechtigten Konzilstheologen vor den Vätern, die sich meist mit den Positionen der protestantischen Theologie befaßten.

Sodann wurde über die von den Legaten vorgelegten Dekretentwürfe in der Generalkongregation abgestimmt, wobei die von den Vätern abgegebenen Voten durch Ad-hoc-Kommissionen in den Entwurf eingearbeitet wurden.

Dieser Vorgang wiederholte sich so oft, wie es nötig war, um eine Mehrheit für den Entwurf zu finden. In der Sessio solemnis wurden dann die fertigen Dekrete publiziert.

Einen so intensiven Modus der Meinungsfindung hatte es bisher auf keinem Konzil gegeben. Die Rolle der gelehrten Theologen darf dabei nicht unterschätzt werden, waren doch die Leuchten der zeitgenössischen Theologie in Trient versammelt.

Auf diese Weise gewannen die Trienter Dekrete jenes geistige, geistliche und sprachliche Format, das noch immer Bewunderung verdient.


IV

Ganz unabhängig von der inhaltlichen Qualität konziliarer Lehrdekrete stellt sich indes die Frage nach Art und Grad und Umfang ihrer Verbindlichkeit.

Voraussetzung für allgemeine und unwiderrufliche Geltung ist die Ökumenizität des Konzils das sie erlassen hat. Hierbei fällt der Blick sogleich auf die Repräsentanz der Ökumene, der Weltkirche auf dem Konzil. Es war Gottfried Wilhelm Leibniz, der knapp 250 Jahre danach in seinem bekannten Briefwechsel mit Bossuet die Ökumenizität des Tridentinums radikal in Frage gestellt hat. Eine Handvoll Papstfanatiker habe die Gunst der Stunde, da die Nationen des Nordens, die Griechen, die Orientalen abwesend waren, genutzt, um ihre ausgefallenen Ideen zu Glaubenssätzen zu machen. Dazu sei der spanische König fest in den Händen seiner mönchischen Umgebung, und Frankreich von einer Italienerin beherrscht gewesen, während die Italiener in Trient diktiert hätten. Selbst Frankreich habe sich ihnen nicht auf Dauer widersetzen können.

Zur Ökumenizität sei jedoch Anwesenheit und Mitarbeit einer großen Zahl von Konzilsvätern aus verschiedenen Nationen erfordert, wovon in Trient keine Rede sein könne.

Also sei Trient kein Ökumenisches Konzil und entbehre deshalb jener Verbindlichkeit, die einem solchen zukomme. Leibniz hätte noch hinzufügen können, daß ein ganzer Erdteil, nämlich Amerika, auf dem Konzil fehlte, obgleich dort seit einem halben Jahrhundert nicht wenige Bistümer bestanden.

Nun ist natürlich außerdem zuzugeben, daß die physische Repräsentanz der Weltkirche zu Trient eher gering war. Das Konzil war in Anwesenheit von nur 29 Kardinälen und Bischöfen eröffnet worden und die Gesamtzahl der Teilnehmer bischöflichen Ranges an der ersten Sitzungsperiode erreichte nicht einmal das erste Hundert. Und selbst diese Wenigen waren nicht durchwegs anwesend. Indes kamen sie aus allen katholisch gebliebenen Nationen Europas, nur die Schweiz, Polen und Ungarn fehlten, und aus Deutschland war nur der Mainzer Weihbischof Helding erschienen. Unbestreitbar ist, daß - aus naheliegenden Gründen - die Italiener in der Überzahl waren.

Dies änderte sich in der 2. Sitzungsperiode nicht wesentlich: Zu ihrer Eröffnungssitzung waren nur 15 Mitraträger erschienen, die zudem ausnahmslos dem Machtbereich Karls V. zugehörten. Die Ankunft von Gesandten protestantischer Stände - es waren Sachsen, Brandenburg, Württemberg und Straßburg - änderte daran nichts.

Erst die letzte Phase des Konzils zählte mehr als 200 stimmberechtigte Väter, es waren 236. Auch davon waren die meisten Italiener.

Das von Leibniz zu Grunde gelegte Kriterium für die Ökumenizität des Tridentinums war indes nicht adäquat: Leibniz geht hier von den Verhältnissen aus, unter denen das Konzil von Konstanz stattgefunden hatte: Zur Zeit der damals - bis zur Wahl Martins V. - herrschenden Sedisvakanz war in der Tat die faktische, physische Repräsentation der Gesamtkirche jenes Element, das in der damaligen Situation allein die Ökumenizität des Konzils zu begründen vermochte.

Das Tridentinum jedoch fand unter dem Pontifikat rechtmäßiger Päpste statt, deren Beitritt, insbesondere deren Bestätigung selbst dem spärlich beschickten Konzil die Ökumenizität sicherte. Das einzige Glied des corpus episcoporum, das durch kein anderes ersetzt werden kann, ist dessen Haupt, der Papst. Seine Mitwirkung ersetzt jeden fehlenden Bischof.

Dies wird durch kein Konzil des Mittelalters und der Neuzeit so eindrücklich demonstriert wie durch das Konzil von Trient.


V

Hätte es einer weiteren Bestätigung bedurft - die Nachwirkung dieses Konzils hätte sie erbracht. Gab es Konzilien, die kaum, oder nur geringe Wirkung über den Tag hinaus zeitigten - man denke an die ersten drei Laterankonzilien, an die beiden Lugdunensia und schließlich gar an das 5 Lateranense, - so hat das Tridentinum einer dreihundert Jahre währenden Epoche seinen Namen gegeben: Wir sprechen von einer nachtridentinischen Periode der Kirchengeschichte.

Ganz im Gegensatz zu den sogenannten - "Reformkonzilien" des 15. Jhs. hat das Tridentinum eine wirkliche Reform eingeleitet, die Hubert Jedin das "Wunder von Trient" genannt hat. Nicht Verteilungskämpfe um die ökonomischen Ressourcen der Kirche wurden hier geführt, wie zu Konstanz oder Basel, nicht in Strukturveränderungen wie dort erschöpfte man sich zu Trient. Es waren auch nicht die eigentlichen gesetzgeberischen Maßnahmen, die die tridentinische Reform bewirkten: Vielmehr war es dem Konzil gelungen, der großen Zahl der Bischöfe und dann auch der Priester das authentische Ideal des apostolisch gesinnten Hirten so vor Augen zu stellen, daß es seine ganze Anziehungskraft entfalten und so für die Sorge um das Seelenheil der Gläubigen wirksam werden konnte. Es war kein neues, "tridentinisches Bischofsideal", es war jenes der genuinen kirchlichen Überlieferung eigene, nun von Entstellungen befreite Bild des Nachfolgers der Apostel, das das Konzil wieder zum Leuchten brachte.

Weit weniger eine neue Gesetzgebung als ein neuer, aus religiöser Tiefe aufbrechender Geist war es, der die eigentliche Wirkung dieses Konzils war.

Trient löste überdies damit eine Welle territorialer Synoden, Provinzialkonzilien aus, die seine Impulse an die einzelnen Diözesen weitergaben. Ja selbst die Konzilien der in Trient abwesenden Kirche Lateinamerikas waren ganz und gar dem Tridentinum und seiner Applikation auf die lokale Situation verpflichtet. Auch dies läßt sich von keinem anderen Konzil des Mittelalters oder der Neuzeit aussagen.


VI

So verwundert es nicht, daß zwar nicht das 1. Vaticanum (und dies hing mit den dort anhängigen Problemen zusammen) wohl aber das 2. Vatikanische Konzil ausgiebig auf die Lehrdekrete des Tridentinums zurückgreift, die es weit häufiger zitiert, als irgendein anderes Konzil.

Allein schon dieser Umstand verbietet es, zwischen dem Tridentinum und dem 2. Vaticanum einen Gegensatz zu konstruieren, wie dies von Kreisen gern getan wird, die einem "Abschied von Trient" das Wort reden.

Davon abgesehen, daß alles, was einmal von einem Allgemeinen Konzil an Glaubenslehren definiert worden ist, ein für allemal in das Depositum fidei eingegangen und infolgedessen unwiderruflich ist, würde ein "Abschied von Trient" zugleich den Abschied von einer geistig wie geistlich und kulturell überaus fruchtbaren Periode unserer Geschichte und Überlieferung bedeuten. Nicht Abschied, sondern vertiefte neue Aneignung ist angebracht.

Sprechen wir hier von der Bedeutung des Tridentinums in der Konziliengeschichte, sprechen wir von seinem Nachwirken, dann können wir hierbei die aktuellen Fragen nicht ausklammern. Wie aber, wenn schon Leibniz einen solchen Abschied von Trient gefordert hat, um eines der wichtigsten Hindernisse für die Wiedervereinigung mit den Protestanten aus dem Weg zu räumen?

In der Tat wird auch heute ein neuer Abschied von Trient zugunsten des Ökumenismus gefordert, freilich in eher verhüllter Form. Aus der katholisch-lutherischen Diskussion ist 1987 ein Werk entstanden, das den Titel trägt: "Lehrverurteilungen - kirchentrennend ?" Der Tenor lautet: "Wenn beide Kirchen (!) die nächsten in den Ausarbeitungen empfohlenen Schritte tun, und verbindlich erklären, daß die verwerfenden Urteile des 16. Jhs. heute nicht mehr wiederholt werden können, befinden sie sich auf dem Weg zu einer sie immer stärker miteinander verbindenden Gemeinschaft ...".

Zur Begründung wird angeführt, daß die damals bestehenden Lehrgegensätze durch moderne Entwicklungen weithin überholt seien und auf die heutigen Dialogpartner nicht mehr zutreffen.

Dem gegenüber hat die Evangelisch-theologische Fakultät Göttingen mit großem Ernst und Nachdruck darauf hingewiesen, daß auch die heutigen evangelischen Grundüberzeugungen von den Anathematismen des Tridentinums getroffen sind. Dieser bestehende Gegensatz dürfe nicht hinwegdiskutiert werden. Dem ist in vollem Umfang zuzustimmen.

Hinzuzufügen ist, daß eine Preisgabe des Tridentinums um ökumenischer Annäherung willen, wie sie einst von Leibniz gefordert worden war, den Verlust katholischer Identität bedeuten würde. Mit Trient würde man nicht nur ein Konzil, sondern die gesamte Überlieferung der Kirche über Bord werfen. Denn: Auch wenn das Tridentinum in mannigfacher Hinsicht aus der Reihe der übrigen Konzilien herausragt, so ist es dennoch mit ihnen durch den kontinuierlichen Strom der Paradosis in so organischer Weise verbunden, daß das Herausbrechen dieses Konzils die gesamte Überlieferung zum Einsturz brächte.

Wie die vielen Eigenschaften vieler Ahnen in das Erbgut eines Menschen integriert sind und dessen Identität begründen, so ist auch das Tridentinum - wie jedes andere Konzil - in das Erbgut, die Paradosis der Kirche integriert und begründet deren Identität.


VII

Was zum Schluß hervorgehoben sei, ist die ungewöhnlich lange Anlaufzeit die verstreichen mußte, bis das Konzil zusammentreten konnte. Schon vier Jahre nach Luthers Auftreten berichtete der Nuntius Hieronymus Aleander d. Ä. vom Wormser Reichstag des Jahres 1521 alles habe geschrien "Konzil, Konzil". Fünfundzwanzig Jahre dauerte es, bis das Konzil zustande kam, und dann vergingen nocheinmal fast zwanzig Jahre, bis es beendet werden konnte. Das war insgesamt nahezu ein halbes Jahrhundert, in dessen Verlauf das mühevolle Geschäft der Glaubensabklärung und der Erneuerung des kirchlichen Lebens im Ringen um die Überwindung schwerster Widerstände von außen und Krisen von innen betrieben werden mußte. Als die Väter von Trient am 4. Dezember 1563 nach dem "Te deum" und dem "Domini, ite in pace" des Legaten Morone einander mit Tränen der Freude und Dankbarkeit umarmten, war das am längsten dauernde und das an heilsamen Folgen reichste Konzil der Kirchengeschichte zum Abschluß gekommen.

Von keinem anderen Konzil konnte der Geschichtsschreiber sagen, was Hubert Jedin vom Tridentinum zu sagen vermochte: Was es eingeleitet hat, war "das Wunder von Trient".

Er meinte damit das Erwachen der durch die Glaubensspaltung schwer verwundeten Kirche aus tiefer Ohnmacht zu einer neuen Blüte des religiösen wie kulturellen Lebens, die in der Kirchengeschichte ganz wenige Parallelen hat.

Die Hoffnung unserer Generation, die wir das 2. Vatikanische Konzil erlebt haben, ist, daß auch aus diesem Ähnliches erwachsen möge.


Walter Kardinal Brandmüller